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Kultur: Axiales Wandeln

Thomas Gerdesmanns „Preussenachse“ in der Petzower Kirche

Stand:

Thomas Gerdesmanns „Preussenachse“ in der Petzower Kirche Die Kunst der Erdvermessung war den alten Kelten kein Geheimnis. Nach Pomponius Mela behaupteten ihre Druiden sogar, „die Größe der Erde zu kennen“. Kürzlich entdeckte man, dass sie einen astronomisch orientierten „Landschaftskalender“ von ganz Europa angelegt hatten, welcher sich am Frühlings-Äquinoktium orientiert. Auf einer solchen „Sonnenvisurlinie“ liegen die Städte Graz, Salzburg, München, Augsburg, Stuttgart und Karlsruhe, wie auf einer Perlenschnur gereiht, über 550 Kilometer hinweg. Die bajuwarische Hauptstadt selbst, so fand es Peter Amann anhand innerstädtischer Magistralen, ist gleichfalls „sonnenkalendarisch“ angelegt, um 23° von der Äquatorlinie versetzt von Nordwest nach Südost. Daran fühlte man sich sofort erinnert, als man am Sonntag in der Petzower Kirche den Ausführungen des Künstlers Thomas Gerdesmann lauschte. Das Mittelmärkische Kulturamt hatte für seine neueste Exposition „Axiales Kunstwandeln“ den „Kulturpunkt STILUS e.V.“ gewonnen, eine Gruppe von zwölf Damen und Herren, die auf je ihre Weise eine große Idee zu befördern und gleichsam anzuzünden gedenken, wie die Kelten ihre Feuerlinien einmal im Jahr. Denn wie obige Visur süddeutsche und österreichische Städte verbindet, so liegen, über 37 Kilometer hinweg, mindestens fünf Schlösser auf einer „Sichtachse“: Vom Berliner Schlossplatz über die Anlagen in Wannsee und den Alten Markt (Stadtschloss) in Potsdam bis zum Wietkiekenberg zu Petzow. Entdeckt hatte Gerdesmann das, als er 1998 hier auf eine Eiche stieg und den Fernsehturm am Alex erspähte – schon in der Antike sagte man ja diesen Bäumen Orakel-Kräfte nach. Er nannte diese Linie „Preussenachse“, und geht seither bei Hinz und Kunz betteln, denn das Ding ist von kontinentalem Format. Die Politik fand „kein Interesse“ an solchen Europa-Visionen, vielleicht bringt“s nun die Kunst? Einmal begründete er das zur liebevoll gestalteten und besungenen (Olaf Kaminski) Vernissage mit der griechischen Legende von Europa („der „Weitblickenden“), dann etymologisch: „Achse“ als Dreh- und Angelpunkt, als Lebensader, bis zum indogermanischen „ages“, was auch im Latein „handeln“ bedeute. „Ein Lebensprinzip an sich“. In dem 56-Jährigen hat man endlich mal wieder einen funkensprühenden Visionär vor sich. Ein neues Zeitalter breche an, man müsse anders denken – und bauen lernen, so, wie es die Schöpfer dieser „Preussenachse“ vorgemacht hätten. Mit eigenen Veduten illustriert er seine Ideen auf der linken Seite des Kirchbaues. Architektonisch mag das ob seiner teils „Enterprise“-mässiger Ästhetik nicht unbedingt überzeugen (ein „Lichtturm“ im Rapsfeld, „Planungsfundament Berlin-Mitte“ u.a.), aber es ist wenigstens mit Kühnheit gedacht, die Herren Politiker. Johann Moritz und der Gartengestalter Lenné hatten diese Koordinaten. Letztlich sprach er von einer „Licht- und Klang-Achse“ als einem „Geschenk des Himmels“ und nannte sein Tun „polare Achsen-Arbeit“ – wer hinhört, weiss bald, was er meint. Natürlich unterstützten die anderen Künstler diese Ideenschule auf das Beste. Heidrun Wegner montierte auf den Prager Platz in Berlin achsengerecht eine Glasskulptur, Olaf Kaminski zeigte leicht anzügliche Aquarelle, Detlef Denzer eine interessante Skulptur als Paradiesgarten mit aufgeschlagenen Buch, darin ein hülzener Apfel. Schöne Idee. Klaus Brenneisen besuchte zwei dieser Schlösser mit seiner Foto-Kamera, und Regine Gronau hatte „einen Traum“, den sie als Aquarell Leben einhauchte. Kalligraphisches von Jürgen F. Schmidt („Auf Achse“) und vieles andere mehr. Warum das gleich ganz Europa „erneuern“ solle? Gerade tagt man zu Johann Moritz von Nassau-Siegen, der Potsdam einst so manche Sichtschneise bescherte, heute oft nur mit Mühe wiederentdeckt. Von höheren Zinnen aus ist das leichter: Als Gerdesmann die preussische Achse europaweit verlängerte, kam das Prinzip der „Weitblickenden“ rasch ans Licht: Von Wannsee nach Südwest trifft die Linie genau Gibraltar, nach Nordwest streift sie Island an seiner westlichen Küste, nach Südost verlängert, kommt man ans Tote Meer, in der fehlenden Richtung verliert sich der polare Strahl am Ural. Es sind, so Gerdesmann, genau die alten Grenzen Europas, Berlin fast inmitten! Was wunder, wenn er für die mythische Dame so schwärmte! Den Kelten würde ein solcher Wurf wohl auch gefallen, sie kannten ja das Prinzip. Gerold Paul

Gerold Paul

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