Kultur: Bach in Potsdam: Eine Sternstunde der Menschheit
Morgen beginnt zum sechsten Mal das Festival: Es nimmt einen besonderen Bezug auf die Rezeption des Bach-Werkes vor Ort
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Mit Johann Sebastian Bach (1685-1750) vollendet sich die Epoche des musikalischen Barock. Ein später Höhepunkt im Leben des Meisters ist dessen Reise im Mai 1747 nach Potsdam. Hier, im Zentrum des aufgeklärten preußischen Absolutisten Friedrich II., erfuhr Bach drei Jahre vor seinem Tode noch eine große Herausforderung: Friedrich gibt Bach ein Thema mit auf den Weg. Mit der Ausarbeitung wird dieses „wahrhaft königliche Thema“ (Bach) Katalysator für eines der großen kammermusikalischen Werke, in dem eintausend Jahre abendländischer Musikgeschichte zusammengefasst und vollendet werden. Es entsteht in Polyphonie und Kontrapunktik ein Lehrwerk für alle Generationen.
Für die heutigen Menschen erscheint in Bach die Gestalt eines außerordentlich hochbegabten Bürgers, der, obwohl völlig der Haltung seines Standes verhaftet, mit seiner Kunst nicht eigentlich einem König sondern der ganzen Menschheit ein musikalisches Opfer bringt. Das Potsdamer Werk des Meisters gehört neben der „Kunst der Fuge“, den Spätfassungen der Passionen und Messen und der „Clavierübung in fünf Theilen“ zur Enzyklopädie der Musikgeschichte. Danach war eine radikale Änderung in der Musikentwicklung notwendig. Auch dafür stehen Potsdam und Sebastian Bach: Sein Sohn Carl Philipp Emanuel verkörpert in der galanten Individualität die neue junge Musikperiode des Rokoko. Philipp Emanuel war als königlicher Cammermusiker am Potsdamer Hofe tätig.
Die Bachtage Potsdam würdigen diese geisteswissenschaftliche und künstlerische Geschichte mit dem Festival unter dem Motto „Musik von Johann Sebastian Bach für Menschen von heute“ seit 2001. Dabei wird besonderer Bezug auf die Rezeption des Bach-Werkes vor Ort genommen.
So gründeten sich die Bachtage genau 100 Jahre nach der Gründung des Bach-Vereines durch Nikolaikantor, Wilhelm Kempff senior. Zum Anderen wurde 2003 mit der Wiederbelebung der Potsdamer Sommerkurse, die seit den 30er und 40er Jahren als internationale Kammermusikkurse legendären Ruf hatten, begonnen. Deren Ausweitung und internationale Ausschreibung im nächsten Jahr setzt einen gewichtigen europäischen und akademischen Akzent.
Die Bachtage sehen sich in Verbindung mit der Bach-Rezeption vor Ort seit dem 19. Jahrhundert. Damals begannen durch Carl Friedrich Zelter und Felix Mendelssohn-Bartholdy, die in Berlin und Potsdam auftraten, die Wiederaufführungen Bachscher Werke und die Belebung eines bürgerlichen Konzertwesens. Seit dieser Zeit gibt es viele Persönlichkeiten in Potsdam und Berlin, die für die Verbreitung des künstlerischen Vermächtnisses des Komponisten in der Region wirken. Genannt seien Feruccio Busoni, Wilhelm Kempff, Wilhelm Furtwängler, Ferenc Fricsay, Ernst Pepping, Ekkehard Tietze, Friedrich Meinel, Adele Stolte.
In Berlin sind die wichtigsten Handschriften Bachs täglich zu erreichen: in der Preußischen Staatsbibliothek wird ein Großteil der Autographe aufbewahrt und erhalten.
Die Region ist eines der Zentren für die Aufführung alter Musik in Deutschland. Die Akademie für Alte Musik Berlin, die Lautten-Compagney oder Musiker, die in den Konzerten der Kammerakademie Potsdam mitwirken und hier ansässige Künstler der Barockmusikszene, die gesamteuropäisch entstanden ist, gehören zu dem Kreis von Künstlern, die die Klangwelt von Johann Sebastian Bach aus der Kenntnis der Zeit für Menschen von heute entwickeln.
Björn O. Wiede ist künstlerischer Leiter der Bachtage Potsddam sowie Organist und Kantor an der St. Nikolaikirche Potsdam.
Björn O. Wiede
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