zum Hauptinhalt
Straßenswing, Barfuß Bossa und Firlefunk. Beate Wein (rechts) und Annett Lipske sind Seelenverwandte. Sie singen und swingen sich durch den Alltag und durch ihre Träume und haben als junge Mamas wieder Stoff für neue Lieder.

© Benjamin Maltry

Kultur: Back to Dreck

Das Duo „Hand in Hand“ spielt in der „fabrik“ am morgigen Sonntag live sein neues Album ein

Stand:

Nein, sie haben sich nicht abgesprochen. Doch seelenverwandt wie sie nun mal sind, erscheinen beide Frauen in gleicher Farbe. Annett ist gerade aus Dresden angereist, Beate kommt von um die Ecke. Sie haben für diesen Abend zum satten Lila gegriffen: vom Pulli bis zur dicken Strumpfhose, alles Ton in Ton. Das Duo „Hand in Hand“ sitzt eng aneindergerückt auf der Bank in der gemütlichen Küche der „Scholle“, dem Proben- und Kreativhaus in Potsdam-West, trinkt „türkischen Kaffee“ und pellt entspannt Apfelsinen. Gleich geht es ans Schlagwerk und an die Tasten des „Fender Rhodes“-Kult-Pianos, um die vier Hände und vier Füße zu ausgelassener Wortakrobatik fröhlich probierend tanzen zu lassen.

Die übersprudelnde Beate Wein mit der Strickmütze über dem langen Haar gibt den Ton an, ohne die Freundin in die Ecke zu drängen. Auch beim Erzählen passt sie genau auf, dass kein Ungleichgewicht entsteht. Jedenfalls kein allzu großes. Beate berichtet von ihrem bevorstehenden Auftritt am Sonntag in der „fabrik“, aus dem ein Live-Album werden soll. „Wir freuen uns auf ein massives, lautstarkes, mitmachwilliges Publikum.“ Die Idee dazu entstand nach einem Konzert, als ein Zuhörer zu ihnen kam und sagte: „Ich würde Euch gern mit nach Hause nehmen“, erinnert sich Annett Lipske. Auf ihren beiden zuvor produzierten CDs – mit wunderschön naiv-poetischer Covergestaltung der Potsdamer Malerin Julia Brömsel – sei dieser Schwung nicht so rübergekommen, mit dem sie das Publikum live beim Schopfe packen und zum Lachen und Mitmachen animieren können. „Nun also pur, wie wir sind, ganz ohne Gastmusiker. Im Konzert passieren doch ganz andere Sachen als im Studio. Da schaust du einem Menschen in die Augen und bist plötzlich ganz gerührt. Dann klingt auch die Stimme anders.“ Und durch so einen spontanen Kontakt entspinnt sich vielleicht auch eine Geschichte, die Beate dann natürlich prompt zum Besten geben wird. Nichts ist festgelegt, der Moment führt Regie.

Die sympathischen unzertrennlichen Freundinnen nehmen sich nicht nur selbst an die Hand, sondern auch ihr Publikum. Es soll Lust bekommen, einzusteigen in die Lieder. Und die führen dann an die verwunschensten Orte: wie von „Patan nach Lama Tar“ in Nepal, die Beate mit dem Fahrrad erkundete. Nun jongliert sie mit den mitgebrachten Napali-Wörtern und erzählt dabei auch ganz heimische Geschichten. Die von beiden geschriebenen deutschen Texte handeln von Alltagsdingen: gefühlte, geträumte, erlebte, aufgeschnappte. Im feinsten Schliff schillern sie nun wie Seifenblasen. Da wird ein simpler Satz wie „Da lang gehen“ zu einer verschlungenen Wortkaskade, aufschäumend wild und munter perlend. Auch „Soja“ ist so ein – ja, wie denn – so ein Wortzirkus, der beim Weintrinken einfach heraussprudelte. Beate schnippst nun in der Küche fröhlich mit ihren Apfelsinensaft getränkten Fingern den Rhythmus dazu.

Nun muss aber auch Annett etwas erzählen: am besten die Geschichte von ihrem „Fender Rhodes“, sagt Beate. Annetts Freund hat es schließlich entdeckt, als er bei einer Entrümpelungsfirma arbeitete: auf einem Werkstoffhof, abgestellt als Müll. Ganze zehn Euro musste er dafür zahlen. „Heute müsstest du einen ,Tausi’ dafür hinblättern, bei Ebay“, ergänzt Beate. Dieses E-Piano aus den 70er Jahren mit seinem warmen Bass-Sound, ist zum Markenzeichen von „Hand in Hand“ geworden. „Es sorgt dafür, dass wir als Duo wie eine ganze Band klingen.“ Sie spielen abwechselnd an diesem Piano und auch am Schlagzeug: in Cafés, Kneipen, Clubs, in kleinen Theatern und auch open air – ihren Straßenswing, Barfuß Bossa und Firlefunk zu Texten, die genauso eigenwillig sind wie ihre herrlich schräge Musik. „Die Rampensau ist Beate. Das ist für mich voll in Ordnung. Sie hat den Hauptgesang.“ Annett bereichert ihn mit ihrer zarteren Stimme. Beate wollte eigentlich Jazzgesang studieren, „doch ich hatte Ödeme auf den Stimmbändern. Fast saß ich schon auf dem Schneidetisch und wollte mir diese Wassergel-Ansammlung operativ entfernen lassen. Glücklicherweise bin ich im letzten Moment abgesprungen. Ich habe gelernt, diesen kleinen süßen Fehler zu kompensieren.“ Ihre Stimme sei für sie wie ein Barometer. „Wenn ich gut in meiner Kraft bin, kann ich mich total auf sie verlassen. Wird es zu viel, dann knarzt sie.“ Aber Beate hat da ihre ganz spezielle Technik entwickelt und mit der kann sie sich durchaus kräftig ins Zeug legen.

Wie haben sie sich überhaupt gefunden, diese unzertrennlichen Freundinnen in Fernbeziehung? Beide kommen aus der Niederlausitz, wohnten nur 30 Kilometer entfernt. Kennengelernt haben sie sich schon als kleine Mädchen auf den Konzerten ihrer Eltern. Wenn Beates Vater und Annetts Mutter mit ihrer Gruppe „Energie“ durch die Lande rockten, reisten die Kinder oft mit und standen aufgeregt an der Bühne. Bald standen sie selbst darauf: schon während des Abiturs. Sie verloren sich auch nicht aus den Augen, als sie getrennt in Dresden und Berlin Musik auf Lehramt studierten.

Auch heute treffen sie sich noch oft bei den Eltern in der Lausitz. „Wir bringen Schwung in die Hütte und holen uns gleich mal die Kritik für unsere neuen Songs ab“, sagen die inzwischen jungen Mütter. „Beate und Annett sind jetzt ein Quartett. Mamas – das gibt Stoff für neue Lieder und die wollen präsentiert werden“, heißt es auf ihrer Homepage.

Wie es sich für Seelenverwandte gehört, sind sie 2010 fast zur gleichen Zeit schwanger geworden und nahmen das Video „Musikfrühförderung“ auf, das sie auf Youtube bei einer ausgelassenen Dickbauchparty zeigt. „Nachdem das fast gleichzeitige Mamawerden nun auch ,erledigt’ ist, singen wir nun auch von einem Mitbewohner mehr“: „Voller Glück sehen wir zurück – keine Zeit mehr zu zweit und schon gar nicht allein. Was kann schöner sein?“, heißt es in einer Liedzeile. Während sie auf der Bühne stehen, kümmern sich die Väter um die Söhne, auch ein dichtes Freundes-Netz ist gespannt. „Man muss sich gut organisieren, klar. Aber das können doch alle Frauen dieser Welt.“

30 sind sie gerade geworden, kurz hintereinander, Beate vorneweg. Zum Geburtstag haben sie sich gegenseitig wunderschöne Lieder geschrieben. „Jetzt geht es erst richtig los. Wir gehören zusammen, und es wird immer intensiver.“

„Back to Dreck“ singen sie: von ihrer großen Liebe zum Rock’n’Roll und zum prallen Leben.

Das Konzert, das mitgeschnitten wird, ist am Sonntag, 19. Februar. Einlass 20 Uhr, Beginn 21 Uhr, fabrik, Schiffbauergasse, Eintritt an der Abendkasse 8 Euro

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })