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Kunst oder Kinderkram? Schon die Frage ist falsch. Das hier ist Dada. Die Arbeit, eine Collage, stammt von Hannah Höch.

© dpa

Kultur: Ball und Bimbamresonanz

Die Kunst auslachen: Michael Gerlinger startet eine Lesereihe und erinnert an „100 Jahre Dada“

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Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: „Stutzflügelalwa schlagt die flügelfeder schlagt alwa stutzuhr bimbamresonanz.“ Was soll das, wird man vielleicht zuerst fragen – bis es klick macht, und man versteht, dass man nicht verstehen muss. Weil man auch so versteht, dass das Kunst ist. Poesie, Literatur!

Nun ja, diese Behauptung hätte jeden Dadaisten wohl in hämisches Gelächter ausbrechen lassen, denn nichts weniger als die Antithese zu dem absolut überkandidelten pseudokulturellen Gehabe ihrer Zeit hatten sie im Sinn. Unter ihnen war etwa auch Johannes Theodor Baargeld, dessen Gedicht „bimbamresonanz I“ die oben zitierten Zeilen entnommen sind.

Genau 100 Jahre ist es mittlerweile her, dass Hugo Ball mit einer Handvoll Gleichgesinnten in Zürich das „Cabaret Voltaire“ gründete. Ob der Name übrigens auf das französische Kinderwort für „Steckenpferd“ oder auf ein Haarwaschmittel zurückgeht, ist nicht ganz geklärt – in jedem Fall steht er für die Anti-Disziplin, das Sich-Entziehen. Und das Publikum, das sich gerade erst mühsam mit dem Expressionismus angefreundet hatte, gnadenlos vor den Kopf stieß. Denn: Konventionelle Kunst wurde hier genauso abgelehnt und parodiert wie bürgerliche Ideale.

100 Jahre Dada also – Grund genug für den Potsdamer Schauspieler Michael Gerlinger, sich am Dienstagabend zum Auftakt seiner Lesereihe „Landratten-Leselounge“ auf dem Restaurantschiff „John Barnett“ diese legendäre Kunstrichtung vorzunehmen – mit Texten von Hans Arp, Hugo Ball oder Kurt Schwitters.

Zur trockenen Rezitation einiger Gedichte ließ sich Gerlinger, der mit seiner Stimme locker den Raum füllte, dennoch nicht hinreißen: „Auf Frontallesung habe ich keinen Bock gehabt“, sagt er. Immerhin war der Abend nicht sein erster Ausflug in die Welt des Dadaismus, dieser radikal-polemischen Kunstrichtung. Die fasziniert ihn schon lange und so konnte Gerlinger noch mit einigen Anekdoten aus dieser seltsamen Zeit aufwarten.

Das Drama, das darin bestand, dass der schnell von Zürich nach Berlin schwappende Dadaismus zum Exportschlager wurde, der sich bis nach New York und Tokio ausbreitete – um genauso schnell wieder von der Bildfläche zu verschwinden – fasste Gerlinger so zusammen: „Irgendwann fraß die Revolution auch diesmal ihre Kinder.“ Dada entstand unter dem Eindruck des kulturellen Nihilismus, den der Erste Weltkrieg auslöste. Ein sinnloser Krieg, das fanden nicht nur die Dadaisten – aber sie setzen ihm provokant noch größere Sinnlosigkeit entgegen. Klar war aber auch: Dada ist nicht für die Ewigkeit gedacht. Schon in den 20er-Jahren war Schluss mit Dadaismus, niemand interessierte sich mehr wirklich dafür. Schlimmer noch – er schien sogar gesellschaftsfähig geworden zu sein. Das war vor allem fatal für die Dadaisten selbst, die doch radikale Anti-Künstler sein wollten – und eben nicht: ins Kunstsystem integriert. Sie selbst riefen dazu auf, die sich etablierende Ordnung wieder zu vernichten.

Doch diese Zäsur, die Dada darstellte, sollte noch lange ausstrahlen. Und für einige Dadaisten sollte dieser Umbruch erst der Anfang sein, wie etwa für den Schriftsteller und Aktionskünstler Johannes Baader – ein Kulturpessimist, der sich gern als der wieder auferstandene Christus inszenierte, sich „Oberdada“ nannte und an der ersten „Internationalen Dada-Messe“ 1920 in Berlin beteiligt war. 1930 fand ein Kongress von Christus-Wiedergängern in Thüringen statt, auf dessen Gelände er mit einem Flugzeug landete, sich als Christus ausgab, gleich wieder verschwand und eine verwirrte Ansammlung von Menschen hinterließ: „Der hat einfach die Veranstaltung gesprengt“, sagt Gerlinger.

Die Nachwirkungen von Dada zeigen sich etwa bei Ernst Jandl – der sich zwar explizit zu keiner, außer seiner poetischen Richtung gezählt wissen wollte, der aber mit seinen lautmalerischen Gedichten zu einem der bedeutendsten Lyriker der Nachkriegszeit wurde. Und der auch nicht in Gerlingers Repertoire des Abends fehlte. Dadaismus, scheint es, ist für Gerlinger allgegenwärtig. Die nächsten Abende in der „Landratten-Leselounge“ seien zwar nicht konkret Dada gewidmet, Jandl – „der Wortakrobat und Buchstabenverdreher“ – werde aber auf jeden Fall mit dabei sein, so viel sei sicher, sagt Gerlinger. Oliver Dietrich

Die „Landratten-Leselounge“ findet jeden ersten Dienstag im Monat statt. Immer ab 19.30 Uhr auf dem Restaurantschiff „John Barnett“, Schiffbauergasse. Der Eintritt ist frei.

Oliver Dietrich

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