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Kultur: Bäume und viel Milieu

Auslöser Potsdam: Thomas Kumlehn über die „Leipziger“ in der Potsdamer Fotografie

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Am Sonntag endet die Fotoausstellung „Auslöser Potsdam“, die umfassend wie noch nie die Gesichter der Stadt durch die Epochen der Fotografie zusammen getragen hat. In dem Teil der Schau, die sich den aktuellen Potsdamer Fotografie widmet, sind auffällig viele Fotokünstler zu finden, die in Leipzig an der traditionsreichen Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert haben. Über hundertzehn Jahre lehrt man dort schon die Kunst, Licht zu sammeln und auf Papier zu bilden. Vierzehn dieser Absolventen zeigt die Ausstellung. Ein Grund für den Potsdamer Kurator und Publizisten Thomas Kumlehn, über diese „Leipziger Schule“ zu sprechen. Er tat das in der zähen Manier, die der Kunstbetrachtung oft eigen ist. Das stand in so einem Gegensatz zur Fähigkeit des medial geschulten Menschen, die Bildinformation eines Fotos in Bruchteilen einer Sekunde zu erfassen, dass die zwei Stunden fast anrührend anachronistisch wirkten.

Zu den so schwerfällig herausgeschälten Worten passte der dauerhafte Kampf mit dem die vielen Bildbeispiele projizierenden Computer. Ein einfaches Bildbetrachtungsprogramm kann für einen Kunsthistoriker manchmal zum störrischen Esel werden.

Nach einer halben Stunde war der erste vorgestellte Absolvent, Ulrich Frewel, gerade abgehandelt. Wer jetzt hochrechnete, kam auf eine Gesamtdauer des Gelehrtenabends von sieben Stunden. Die gefühlte Zeit hatte dabei schon die Tageswende überschritten. Kumlehn hatte sich entschieden, weniger das Gemeinsame seiner Beispiele hervor zu heben, als in eine kleinteilige Werkanalysen einzutauchen. Die Frage, warum scheinbar so viele Absolventen aus Leipzig in Potsdam arbeiteten und arbeiten, war wohl zu banal. Denn die Antwort ist einfach: Es gab in der DDR keine andere Studienmöglichkeit für künstlerische Fotografie. Kumlehn hätte vielleicht einführend die Hochschule und seine Traditionen vorstellen können. Welche Professoren lehrten und welchen Einfluss sie ausübten. Oder in welchem Verhältnis Leipzig zur europäischen Fotografie stand. Auch sechzehn Jahre nach der Wende wäre es interessant zu erfahren, wie sich die Leipziger Ästhetik gegen den Bild bestimmenden Druck der Partei zu wehren gewusst hatte.

Kumlehn begann also mit Ulrich Frewel, der zur ältesten hier vorgestellten Generation der Leipziger Studenten gehörte. In dessen in den 60er Jahren aufgenommenen Fotos von leeren Speisesälen sah der Redner eine zeittypische absurde Situation der Leere festgehalten, die „wie ein Vakuum“ erscheine. Frewel, der nach seiner Ausreise aus der DDR als Buchhändler arbeitet, fotografiert heute Bäume und Pflanzen. Ein Motiv, das auch von anderen „Leipzigern“ für sich entdeckt wurde. So Klaus Bergmann, der in der Ausstellung gar nicht zu sehen ist und das Golmer Luch ablichtete, oder Heide Marie Hagen, die der „Pflanzenerotik der Pilze“ auf der Spur war. Auch Göran Gnaudschun, mit Anne Heinlein der jüngste besprochene Fotograf, sucht mit Hilfe der Satellitenbilder von Google-Earth nach Bauminseln, die auf freiem Feld stehen.

Ein anderer roter Faden scheint die so genannte Milieufotografie gewesen zu sein. Monika Schulz-Figuth wohnte für ihre Diplomarbeit in einer Wohngemeinschaft, die sich aus jungen Leuten und Körperbehinderten zusammensetzte. Petra Walter-Moll hielt das Personal eines fahrenden Marionettentheaters fest. Und Gnaudschun das Leben unter Hausbesetzern. Kumlehn fand zu jedem der vorgestellten Fotografen einen persönlichen Zugang, der die Stärken der Arbeiten herausstellte. Nur bei Frank Gaudlitz, der jüngst seine Porträts „Warten auf Europa“ im Kunstraum mit großem Erfolg zeigte, setzte es seltsamerweise Kritik. Man sähe in den Gesichtern der porträtierten Donau-Anwohner, dass der Fotograf sich wenig Zeit genommen hätte. Künstler und Objekt aus Osteuropa kämen sichtbar „aus verschiedenen Welten“.

Völlig überzeugend jedoch argumentierte der Kunstwissenschaftler, als er am Ende des fotografischen Marathons auf den skandalösen Missstand hinwies, dass die Stadt Potsdam keinen Etat besäße, um Fotokunst der Potsdamer, die aus Leipzig kommen, zu sammeln.

Auslöser Potsdam bis 11. Februar, am Fr. und Sa. bis 24 Uhr geöffnet.

Matthias Hassenpflug

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