Kultur: Beim Barte des Tolstoi
Klaus Hugler hat mit „Der fremde Gast“ ein neues Buch geschrieben
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Ein ganz klein wenig möchte er selbst Lew Nikolajewitsch Tolstoi sein. Wenigstens im Aussehen. Der lange Bart des Klaus Hugler ist ein unübersehbares Indiz dafür. Dass der Potsdamer Autor natürlich das schriftstellerische Format des russischen Romanklassikers gar nicht erst kopieren möchte, das macht ihn sympathisch. Doch beim Barte des Tolstoi: die Gedankenwelt des Dichters will Hugler unbedingt in unsere Zeit hineintragen. Mit eigenen Büchern. Vor zwei Jahren erschien bereits ein Brevier, in dem er aus ganz persönlicher Sicht kleine kostbare Texte Tolstois veröffentlichte. Nunmehr ist ein broschiertes Buch erschienen, in dem sich Klaus Hugler intensiv mit dem russischen Dichter auseinandersetzt. Der Titel lautet „Der fremde Gast“. Äußerer Anlass ist der 100. Todestag Tolstois.
Nicht mit den bedeutenden Romanen des Russen wie „Krieg und Frieden“, „Anna Karenina“ oder „Auferstehung“ beschäftigt sich der Potsdamer, auch nicht mit den Erzählungen. Vielmehr sind es die philosophischen und pädagogischen Ideen des Dichters, die Hugler faszinieren. Er kennt dessen Werk wohl ziemlich genau. Dies ist in seinem feuilletonistisch geprägten Text immer wieder zu spüren. Mit ihm wird eine gut informative und lesbare Einführung zu Lew Nikolajewitsch Tolstoi gegeben.
Der auf dem Landgut Jasnaja Poljana aufgewachsene Tolstoi studierte in Kasan zunächst orientalische Sprachen, wechselte dann aber an die juristische Fakultät. Nach Abbruch des Studiums gab es bereits erste erfolglose Versuche, auf dem Stammgut der Familie, Land- und Schulreformen durchzuführen. Nach seiner Heirat mit Sofja Andrejewna Behrs im Jahre 1862 intensivierte er die Reformvorhaben und richtete Dorfschulen nach Rousseauschem Vorbild ein. Ihm schwebte ein Menschenbild vor, das sich an der Bergpredigt Jesu orientiert. Die pädagogische Zeitschrift „Jasnaja Poljana“ erschien, später das ABC-Buch, ein Schullehrbuch. Für ihn ist die Bildung wichtigster Gegenstand der Pädagogik: „Bildung bedeutet nach unserer Überzeugung die Gesamtheit aller Einwirkungen, die zur Entwicklung des Menschen beitragen, ihm eine erweiterte Weltsicht und neue Kenntnisse verleihen.“ Hugler benennt aber auch die schmerzlichen Erfahrungen und Enttäuschungen Tolstois. Selbstkritisch stellte dieser fest, dass er oftmals nur belehren wollte. Aber Klaus Hugler kommt zum Schluss, dass Tolstois Pädagogik angewandte Gesellschaftskritik sei. Eine neue Lebensweise mit Zukunft, dies seien des Dichters Ideen und ihr praktischer Versuch, sie in die Tat umzusetzen. In dem Buch wird auch mitgeteilt, wie andere Lehrer, Philosophen, Dichter und Politiker mit dem Erbe des Russen umgehen. Beispielsweise Gandhi. Er gründete 1910 in Johannesburg nach dem Vorbild der Bildungseinrichtung in Jasnaja Poljana eine „Schule des Geistes“, die auch Tolstoi-Farm genannt wurde.
Bereichert wird das Buch mit kurzen Texten des Dichters. Hugler gibt dem Leser noch eine kleine Sentenz seines Freundes Tolstoi mit auf dem Weg: „Lest vor allem gute Bücher, sonst lest ihr sie nicht zu Ende.“ Im Gegensatz zu „Krieg und Frieden“ habe ich den „Fremden Gast“ bis auf die letzte Seite gelesen. Klaus Büstrin
Klaus Hugler: L.N. Tolstoi – Der fremde Gast, Regia Verlag, 10 Euro
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