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Nein, der Name ist kein Pseudonym. Sängerin Jazzmeia Horn.

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Kultur: Beinahe ausgerastet

Die Texanerin Jazzmeia Horn plättete am Freitagabend das Publikum im Nikolaisaal mit ihrer Stimme. Ein Mikrofon hat sie eigentlich gar nicht nötig, dafür hatte sie jede Menge politische Statements im Repertoire

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Die deutsche Version von Ausrasten hat Jazzmeia Horn immerhin verstanden. Als sie am Freitagabend nach ihrem Konzert von der Bühne ging und der lang anhaltende Applaus sie zu einer Zugabe nötigte, versuchte sie sich – vielleicht mehr zu sich selbst als an die Zuhörer gewandt – an einer Erklärung: „Die Deutschen tanzen nicht – aus Respekt“, stellte sie verwundert fest. Aber Zugaben verlangen sie dann umso heftiger. Dabei hatte Moderator Lothar Jänichen vom rbb-Kulturradio doch genau das versprochen: „Sie werden ausrasten!“, kündigte er dem Publikum im ausverkauften Foyer des Nikolaisaals an, als Jazzmeia Horn im Rahmen der Reihe „The Voice in Concert“ spielte. Na ja, am Ende stimmte das mit dem Ausrasten schon – nur eben anders.

Jazzmeia Horn hat mit dem Ausrasten so ihre Erfahrungen. Die 24-jährige gebürtige Texanerin, die mittlerweile in New York lebt, hat es geschafft, die US-amerikanische Jazz-Szene aufzumischen. Erst im vergangenen Jahr gewann sie in Los Angeles den „Thelonious Monk Award“, in der Jury saßen keine Geringeren als die Jazz-Legenden Al Jarreau und Herbie Hancock. So richtig angekommen sei die Würde bei ihr noch nicht, gibt sie aber zu: Vorher sei sie Ehefrau, Mutter, Schülerin und Lehrerin gewesen – und bis heute ist sie immer noch maßgeblich genau damit beschäftigt. Doch mit diesem Namen, der kein Pseudonym ist und auf den Wunsch ihrer Großmutter zurückgeht, ist sie schon prädestiniert für eine steile Musik-Karriere.

So stand sie am Freitagabend ein bisschen verwirrt auf der Bühne. Im Abendkleid aus dunklem Samt, mit ihren Dreadlocks in Krusty-der-Clown-Optik, zieht sie skeptisch die Augenbrauen zusammen, als ob sie schmollt. Dann plötzlich grinst sie ins Publikum – was geht bloß in ihrem Kopf vor, fragt man sich? Überhaupt scheint sie das Mikrofon gar nicht zu brauchen, und genauso behandelt sie es auch. Als Stütze bestenfalls, als ob sie ein Glas Champagner halten würde: Ihre Stimme ist voller Kraft und Seele, ein Instrument. Und so benutzt sie diese Stimme auch für ihren Scat-Gesang: als ob sie ein Blasinstrument spielt, Melodien improvisiert, ihre Finger bewegen sich dazu am Mikrofon wie an einer Trompete. Ihrer großartigen Band bleibt nur die Begleitung: Pianist Carlton Holmes hat sie aus New York mitgebracht, mit dem Österreicher Wolfram Derschmidt am Kontrabass und dem serbischen Schlagzeuger Dusan Novakov fusioniert das Quartett über den Atlantik hinweg. Neben eigenen Songs gab es auch Klassiker, von Jimmy Rowles bis Antônio Carlos Jobim.

Jazz kann ja durchaus manchmal furchtbar ernsthaft und schwer sein, bei Jazzmeia Horn ist er dagegen fast schwerelos – ohne unscheinbar zu werden. „Black Rights Matter“, singt sie mit einem Harlem-Akzent, und von „Cops“, die ihre „Brüder in den Straßen niederschießen“. Der Abend könnte mit seinen politischen Statements ebenso gut ein Hip-Hop-Konzert sein. Hier geht es nicht um Gefälligkeit: Zu oft lässt sie die Stimme ins Schrill-Hysterische kippen, zu attraktiv sind die Dissonanzen, mit denen die Band spielt und die sich in den Gehörgang graben. Zwischendurch wieder diese latente Abwesenheit, wenn Jazzmeia Horn in die Luft starrt oder – ist das etwa Buttermilch? – zwischendurch einen Schluck aus einem grünen Tetra-Pak nimmt. Da konnte man schon ausrasten – aber bestimmt hat sich das bei Teilen des Publikums nur nach innen verlagert. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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