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Kultur: Ben Willikens öffnet den Raum

Das Kunsthaus zeigt Werke des berühmten Künstlers

Stand:

Als ob der große Raum des Kunsthauses größer geworden wäre. So erscheint es beim Betreten der aktuellen Ausstellung mit Werken von Ben Willikens. Gegenüber dem Eingang hängt ein vierteiliges Opus magnum des hoch dekorierten Künstlers und ehemaligen Präsidenten der Münchner Kunstakademie. Es ist sechs Meter fünfzig lang und zwei Meter fünfzig hoch, und zeigt in meist grau gehaltener Farbigkeit einen menschenleeren Raum. Die streng geometrische Ordnung beginnt im Vordergrund mit einer Art dunkelgrauem Podest, auf dem, ebenfalls gewissenhaft berechnete und nach geometrischen Grundsätzen funktionierende Gegenstände liegen.

Sie dirigieren den Blick des Betrachters hin zur heller werdenden Quasi-Unendlichkeit des Raumes, der in strengen Durchgängen nach hinten immer mehr Licht zulässt. Kein Mensch ist zu sehen, keine Zeichen ehemaliger Anwesenheit zu entdecken. Und doch entwickelt sich ein eigenartiger Sog, der an menschlich-übermenschliche Dimensionen wie Sehnsucht oder Erleuchtung denken lässt. Wie das geschieht, kann man nur schwer rekonstruieren – vielleicht, weil Ben Willikens hier den Raum als Metapher und geschichtliches Zitat nutzt. Wir haben es nicht mit normalen Räumen zu tun, sondern mit Hallen, die an das Italien der Renaissance denken lassen – die Helligkeit im Bildhintergrund erinnert Leonardos Abendmahl, allerdings ganz ohne Jünger und andere Menschen oder auch an Raffaels „Philosophenschule von Athen“. Was die beiden Alten allerdings als menschliche Kommunikation ausschmückendes, kommentierendes Architekturbild anboten, wird hier zu einem vollkommen menschenlosen, weiten, den Blick hin zur Helligkeit dirigierendes Raumbild. Der Weg zur Erleuchtung ist gesäumt von einigen Elementen, die eine kleine Art von Unordnung in die ansonsten mathematisch klare Bildsprache bringen: Da liegt die Kugel nicht ganz mittig auf dem dunkelgrauem Podest, links davon ein runder Stab, auf der anderen Seite ein rechteckiger Balken, und alle weisen sie die Richtung des Blicks. In der Bildmitte am Durchgang blinken wie kleine Ampeln dunkelrote Signale, bescheiden, um die Grautönigkeit nicht zu stören, aber bemerkbar. Der Blick wird aufgesogen von diesem gestalteten Nichts, von dieser Leere, die dennoch von einem utopischen, menschenleeren Raum umfangen wird. Die Gedanken verfangen sich an den Durchgängen und Brettern, die wie abgestellte Menschenseelen wirken, gerade da, wo kein Mensch mehr ist. Überlegungen zur Architektur der Moderne kommen einem in den Sinn, der große Aufbruch, die großen Hoffnungen des Bauhauses, deren Architektur der Funktionalität dienen sollte und auf diese Weise den sie benutzenden Menschen Freiräume (auch des Denkens) eröffnen sollte. Doch was ist mit den Plattenbauten und den unbeseelten Mietskasernen auf der gesamten Welt aus diesen hochfliegenden Träumen geworden? Erdrückende, erstickende Architektur. Raum zum Atmen gibt Ben Willikens seinen Interieurs zurück, vielleicht auch vor dem Hintergrund, dass er Kunst in Stuttgart bei dem vom Bauhaus kommenden Heinz Trökes studiert hat. Große Anerkennung hat Willikens gefunden, seine im Kunsthaus ausgestellten Werke werden zu stolzen Preisen angeboten: Der „Raum 39“ ist für 160 000 Euro zu haben, seine kleinen Werke, in denen sogar ein belebter Pinselstrich doch ein menschliches Temperament verrät, kosten ab 4000 Euro.

Ein Großformat fällt aus dem Rahmen der Öffnung und der Leere: Ein „Atelierfenster“ ist in pedantisch genaue Fensterkreuze unterteilt, der vergitterte Blick entdeckt links eine schwarze Fläche, doch auch hier öffnet sich im Hintergrund weißes, fast gleißendes Licht. Und, vielleicht, sind ja die schattenhaft dargestellten Elemente auf der unteren Bildhälfte tatsächlich Zeugen menschlichen Lebens und Wirkens: Utensilien eines Malers könnten sie sein, die im Schattenriss kleine Unsicherheiten in die ansonsten so austarierte, vergitterte Raumgestalt werfen? Egal wie, Ben Willikens schafft es, den Kunstbetrachter durch seine ungefälligen Raumkonstruktionen zu verunsichern: Was will Kunst mehr?

Zu sehen Mi bis Fr 15 bis 18 Uhr, Sa und So 12 bis 17 Uhr, bis 2. Dezember.

Lore Bardens

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