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Was machen die da drin? Roger Willemsen spielte im Bundestag Mäuschen.

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Kultur: Beobachtungen eines Unpolitischen Roger Willemsen liest aus „Das Hohe Haus“

Keine Fotos, kein unziemliches Verhalten. Keine Zwischenrufe und kein Applaus, kein Nickerchen, keine Nahrungsaufnahme.

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Keine Fotos, kein unziemliches Verhalten. Keine Zwischenrufe und kein Applaus, kein Nickerchen, keine Nahrungsaufnahme. Auch keine Kaugummis und keine Handys. Unter solch harten Bedingungen harrte Roger Willemsen, Publizist und TV-Moderator, im vergangenen Jahr viele Tage auf der Besuchertribüne des Deutschen Bundestages aus. Seine Beobachtungen und Erfahrungen, seine Mitschriften wurden zu einem Buch: „Das Hohe Haus. Ein Jahr im Parlament“, erschienen 2014 im S.-Fischer-Verlag, ist eine protokollarische, fast nüchterne Betrachtung der Sitzungen der Abgeordneten. Am kommenden Samstag liest der Autor im Waschhaus daraus vor.

An 60 Tagen – öfter als so mancher Abgeordneter – saß Willemsen auf der Tribüne. Als ganz normaler Zuhörer, voraussetzungslos, aber mit leidenschaftlichem Gemüt und offenem Blick. Wie steht es um die deutsche Politik, wollte Willemsen wissen. Was geschieht dort vor den Fernsehkameras als auch auf den zahlreichen nicht dokumentierten Nebenschauplätzen? Er erlebte effektive Arbeit und geheime Tränen, echte Dramen, Sternstunden mit emotionalen Reden, und dass sich der witzige oder intelligente Zwischenruf in der Krise befindet. Eine Debattenkultur habe er vergeblich gesucht. „Die Voraussetzung einer Debatte wäre, sich umstimmen zu lassen, zu sagen, klingt vernünftig, das leuchtet mir ein“, so Willemsen. Aber: „Ganz selten kommt es vor, dass man jemanden beim Denken sieht.“

Er selbst beobachtete genau: wer wie am Rednerpult lehnt, wer wen anspricht oder ignoriert, wer telefoniert oder zu spät kommt. Er typisiert die Abgeordneten: „Rösler, Typus Nesthäkchen, einer der geliebt werden will..., der rabiate Kauder, der Flegel vom Bolzplatz, der listige Gysi... und Göring-Eckardt, das beseelte Mädchen, das handfest sein kann.“

Angela Merkel selbst sei eine Viel-Telefoniererin. Und: „Sie kämpft sich durch ihre Sache wie eine Person, die den Umgang mit Begriffsstutzigen gewohnt ist.“ Wenn Merkel am Pult stehe, spreche die Behörde. „Die Kanzlerin chloroformiert das Land“, sagte Willemsen kürzlich in einem Interview. „Wenn sie spricht, breitet sie Betäubungszonen aus“, schreibt er über die mächtigste Frau Deutschlands, die „auf bürokratische Weise sagt, dass sie sagt, was sie gesagt hat“. Einige Kilo Gewicht habe er verloren bei der Beobachtung der Demokratie – seine persönliche Bundestagsdiät. Steffi Pyanoe

Roger Willemsen am 5. 4. um 20 Uhr im Waschhaus, Schiffbauergasse, Karten kosten 19 Euro

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