Kultur: Bereit, sich aus der Bahn werfen zu lassen Nicoline Schubert spielt in „Verbrennungen“
Im Moment hat Nicoline Schubert wenig Schlaf. Die Proben ziehen sich bis Mitternacht hin und auch danach kommt sie kaum zur Ruhe.
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Im Moment hat Nicoline Schubert wenig Schlaf. Die Proben ziehen sich bis Mitternacht hin und auch danach kommt sie kaum zur Ruhe. Für die Schauspielerin kein Grund zum Stöhnen: „Das Stück hat es verdient, dass man ihm seine ganze Kraft gibt.“ In „Verbrennungen“ des libanesischen Autors Wajdi Mouawad, das morgen Abend am Hans Otto Theater Premiere hat, geht es um eine Familientragödie vor dem Hintergrund des libanesischen Bürgerkrieges. Dabei wird ein großer zeitlicher Bogen geschlagen. Die zwanzigjährigen Zwillinge Jeanne und Simon leben in Kanada. Erst durch das Testament ihrer Mutter Nawal werden sie in deren Heimatland geschickt, um Vater und Bruder ausfindig zu machen, von denen sie vorher nie etwas gehört haben. Die Suche nach Wahrheit führt sie mitten hinein in das sorgsam gehütete Geheimnis ihrer verstummten Mutter, von der sie glaubten, dass sie dem Wahnsinn nahe ist.
Nicoline Schubert verkörpert die Rolle von Jeanne – doch zu sagen, dass sie versuche, sich in die Figur hineinzuversetzen, erscheint ihr fast als Anmaßung. „Die Familie hat Unvorstellbares erlebt, das kann man gar wirklich nachfühlen.“ Es bleibt die eigene Fantasie, die sie durch viel Lesen über den Nahost-Konflikt und über die Beschäftigung mit dem realen Fall der „Frau, die singt“, die ihrer Bühnenmutter zugrunde liegt, anreichert. Ansonsten möchte sie von den tragischen Facetten dieser Kriegsgeschichte nicht allzu viel preis geben, „denn sie ist wie ein Krimi geschrieben und der lebt nun mal von der Spannung.“
Ihre Jeanne ist Mathematikerin, die sich in engen vorgefertigten Bahnen bewegt und der Emotionen eher ein Fremdwort sind. Nur mit ihrem Bruder hält sie zusammen: vor allem als Bollwerk gegen die Mutter. Doch mit dem Testament gerät bei ihr das Bild der so weit entrückten Mutter ins Wanken. „Jeanne ist erschütterbarer als der Bruder und beginnt sich aus der großen Abgängigkeit von ihm zu befreien. Das führt so weit, dass sie bereit ist, sich aus ihrer Bahn werfen zu lassen, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen.“ Stück für Stück setzt dieses Mädchen das Puzzle der so lange ausgeblendeten Vergangenheit zusammen, „ein sehr schwarzes Puzzle. Doch trotz aller Düsternis spielen wir nicht zweieinhalb Stunden Betroffenheitstheater, das würden weder die Schauspieler noch das Publikum aushalten.“ Der Autor habe zu seinem Stück gesagt, dass er darin erzählen möchte, wie man es schafft, als Mensch in unmenschlichen Situationen seine Menschenwürde zu bewahren. Damit könne sie sich sehr gut identifizieren. „Und meiner Figur würde ich ihr Ringen, verstehen zu wollen und das Verzeihen können als Würde zuschreiben.“
Für das „Nordlicht“ Nicoline Schubert ist es die erste Arbeit am Hans Otto Theater. „Ich fühle mich sehr wohl hier, auch weil Theater gemacht wird, das sich einmischen möchte und dabei die Politik nicht außen vor lässt. Außerdem ist es schön, in einem neuen Haus zu spielen und zu spüren, dass hier Menschen leben, die sich für Theater interessieren.“ In Rostock, wo sie studiert habe, sei sie froh gewesen, wenn 50 Leute im Saal gesessen haben. „Es ist nun mal die Bedingung für unseren Beruf, dass Menschen unsere Inszenierungen sehen wollen.“
Für sie habe es relativ spät festgestanden, dass sie Schauspielerin werden möchte. „Es liegt nicht in meiner Familie. Ich bin die erste, die diesen Weg geht. Sicher lag es an dem musischen Klima in der Schule, dass ich mich für Theater begeisterte. Aber ich hätte von mir aus nie den Mut gehabt, mich wirklich für ein Studium zu bewerben. Der Wink kam von außen.“ Und er führte die Lübeckerin nach dem fünften Anlauf wieder in den Norden, „obwohl ich eigentlich richtig weit weg wollte. Aber Rostock war dann doch genau das Richtige für mich.“ Ihr erstes Engagement hatte sie in Köln, doch durch einen Intendantenwechsel folgte nach einem Jahr bereits der Wechsel nach Cottbus. Drei Jahre war sie dort, bis sich wieder die Theaterspitze änderte und ihr Vertrag nicht verlängert wurde. „Wohin zieht man, wenn man plötzlich zwangsweise freiberuflich ist?“ Sie ging nach Berlin, wo das soziale Netzwerk für sie am dichtesten war. „Freunde und Bekannte sind wichtig für Durststrecken.“ Doch die Angst vor dem Freischaffendsein erwies sich als unbegründet. Seit drei Jahren steht ihr das Glück zur Seite, ergab sich eine Aufgabe nach der anderen; „künstlerisch viel spannendere als im Engagement. Und man hat zudem die enorme Freiheit, auch ablehnen zu können.“ Was sie inzwischen schon mehrmals tat, selbst vier feste Stellenangebote.
Vor allem in zeitgenössischen Stücken wirkte die 31-Jährige bislang mit und sie hatte auch hier Glück, nicht in eine Schublade gesteckt zu werden. „Im Studium hatte ich gedacht, dass das Tragische mir mehr liegen würde. Inzwischen spüre ich auch mein komisches Potential. Figuren, die schräg ins Leben gebaut sind, die Widersprüche in sich haben, interessieren mich am meisten.“
Für ihre Jeanne kann sie viele Töne anschlagen. Gerade weil Deutsche eine andere Schwere und Bedrückung mitbringen, sei ihr auch das Ringen um Leichtigkeit wichtig. Bei „Verbrennungen“ sicher ein schwieriger Balanceakt.
Für die Premiere morgen um 19.30 Uhr sind noch Karten erhältlich.
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