
© Musikfestspiele/Gloede
Kultur: Berührend und vielgestaltig
Hasses „Piramo und Tisbe“ auf Sanssoucis Theaterbühnen, drinnen und draußen
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Es ist ein „trauriges, ein schauerliches Stück von der großen Liebe und dem grässlichen Ende zwei junger Menschen, die sich mit eigener Hand das Leben nahmen, weil eins das andere getötet glaubte“. So könnte man kurz und knapp mit den Worten des Dichters Franz Fühmann die antike Erzählung von Piramo und Tisbe wiedergeben. Eine „Romeo-und-Julia“-Geschichte begegnet uns, die bereits lange vor Shakespeare der römische Dichter Ovid aufgeschrieben und in seinen „Metamorphosen“ veröffentlicht hat. Auch hier steht die Feindschaft zweier Familien dem Glück der jungen Leute im Wege. Der Dresdner Hofkapellmeister Johann Adolph Hasse hat aus dieser Geschichte eine Kammeroper voll berührender und vielgestaltiger Musik gemacht. Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci nahmen sich dem Intermezzo tragico „Piramo e Tisbe“ an und haben es am Montag zur Premiere gebracht. An zwei Orten wird gespielt: Den Fluchtplan heckt man im Schlosstheater im Neuen Palais aus, das traurige Finale spielt sich im nahe gelegenen wieder rekonstruierten Heckentheater aus der Zeit Friedrichs ab. Dies machte der 300. Geburtstag des Monarchen möglich.
Die Musikfestspiele sahen ihre italienisch gesungene „Piramo e Tisbe“-Produktion nicht als Pflichtübung zum Friedrich-Jahr an, sondern haben damit, wie seit gut 20 Jahren, dem barocken und klassischen Opernrepertoire eine respektable Wiederentdeckung beschert. Hasses Oper wurde bereits 1771 im Neuen Palais aufgeführt, vor dem König. Er schätzte die Kompositionskunst des berühmten Dresdner Hofkapellmeisters. Doch über „Piramo und Tisbe“ soll er zu Johann Friedrich Reichardt gesagt haben, sie sei keine richtige Oper, eher eine Operette, klein zugeschnitten, aber hübsch. Obwohl sie noch den Geist der ausklingenden Barockmusik atmet, ist so manches von Glucks neuem Opernstil in ihr zu spüren, in dem es zu einer Verschmelzung von Handlung und Musik kommt. Friedrich lehnte aber Gluck kategorisch ab.
Es scheint nicht so einfach zu sein, sich diesem Drei-Personen-Stück zu nähern und es auf die Bühne zu bringen. Zu wenig Stoff für Action. Der Kölner Hochschulprofessor und Regisseur Igor Folwill serviert es gemeinsam mit dem Bühnenbildner Manfred Kaderk und der Kostümbildnerin Ute Frühling als Theater im Theater. Im Hintergrund der Schlosstheaterbühne wird mit Schminktischen die Situation in Garderoben von Künstlern angedeutet. Dort bereiten sie sich innerlich auf ihre Auftritte vor, schlüpfen bereits in ihre Rollen, beobachten gemeinsam mit den Statisten die Szene, die sich im vorderen Teil mit den chaotisch liegenden Stegen befindet. Die Tragödie, die sich anbahnt, wird hiermit bildhaft beschrieben. Piramus und Tisbe sowie deren Vater treten einzeln oder gemeinsam auf, um ihre in Rezitativen, Arien und Duetten komponierten Diskurse über Liebesversprechen, Treue bis zum Tod, Gefahr, Rache, Drohgebärde, Trauer und ähnliches mehr zu singen. Doch in der Inszenierung werden die existentiellen Abgründe, die die Geschichte parat hält, in Bildern kaum sichtbar. Man steht zwar nicht Hände ringend an der Rampe, aber es findet zu viel Leerlauf im wahrsten Sinne des Wortes statt.
Allein die Musik ist es, die die poetisch-tragischen Momente trägt. Und es sind die Sänger, die die Emotionen durch ihre stimmliche Gewandtheit hörbar machen: der australische Sopranist David Hansen, die französische Sopranistin Bénédicte Tauran in den Titelpartien sowie der italienische Tenor Carlo Vincenzo Allemano als Vater. Sie demonstrieren die Vielfalt barocker Sangeskunst: verzierungsfreudig, mit furiosen Koloraturen, hingetupften Staccati, beseelten Lyrismen, wunderbarer Dynamikkontrolle sowie tadellosem Registerausgleich.
In ein Land „wo in Freiheit das Gesetz der Liebe gilt“ wollen Piramo und Tisbe fliehen. Als Treffpunkt ist der Wald verabredet. Dazu ziehen die Sänger, das Orchester sowie die gesamte Zuschauergemeinde in das Heckentheater um. Doch zunächst geht es mit den Statisten, die zu Artisten werden, in den Gartensalon. Dort gibt es eine zu lang geratene Pausenversorgung mit Bläsermusik und kunstvoll-komödiantischen akrobatischen Vorführungen, die vom Premierenpublikum im Großen und Ganzen jedoch recht humorlos aufgenommen wurden.
Im Heckentheater mit den Hainbuchen und den riesigen Bäumen im Hintergrund – manche noch aus der Zeit Friedrichs – wird das Proszenium der Schlosstheaterbühne zitiert. Das Theater im Theater bleibt erhalten. Die Waldatmosphäre des späten Abends zaubert die Natur selbst. In ihm findet nun das tragische Ende statt. Die Artisten gaukeln und schaukeln als Schlange, Frosch oder Eule durch das Grün. Und über allem wacht ein auf Stelzen gehender schwarzer Engel. Natürlich ist der gar nicht böse wirkende Löwe mit wunderbarer Maske, doch einem sehr kurzen Auftritt, dabei. Angeblich soll er Tisbe auf dem Gewissen haben.
Es ist bewundernswert, wie die drei Sänger ohne Tonverstärkung und ohne zu forcieren ihre Partien auch im Heckentheater singen. Auch für das Orchester, das Belgian Baroque Orchestra Gent (B‘Rock), ist es nicht einfach, im Freien zu musizieren. Die hohe Luftfeuchtigkeit könnte leicht zu Verstimmungen bei historischen Instrumenten führen. Die gut disponierten Musiker spielten weitgehend freudig bewegt und waren den Sängern wunderbare Partner. Vor allem musikalisch lief die Inszenierung auf hohem Niveau ab. Daran hatte auch der Dirigent Andrea Marchiols einen Hauptanteil. Sein temperamentvoller Zugang zur Partitur, sein agogisches Verständnis und grandioses Gespür für die Klangbalance der Stimmen untereinander, garantiert einen unverwechselbaren Hasse-Klang. Auch das hat dramatischen Atem und trägt den Abend. Herzlicher Beifall beendete die Begegnung mit „Piramo und Tisbe“.
Wieder vom 21.–23. Juni.; am 17. Juli, 19.05 Uhr, auf DeutschlandRadio Kultur.
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