Kultur: Bescheiden, nachdenklich, klug
„WendeKinder“ – Ausstellung der Landeszentrale für politische Bildung mit „Ansichten von Jugendlichen“
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„WendeKinder“ – Ausstellung der Landeszentrale für politische Bildung mit „Ansichten von Jugendlichen“ „Die Erwachsenen reden manchmal über die DDR und dadurch kriege ich was mit. Von meiner Oma weiß ich, dass es früher viel strenger war, auch zu den Kindern war man strenger. Aber mich interessiert das nicht so sehr, wir leben jetzt in dieser Welt und nicht mehr in der DDR“. Karolin aus dem Prignitz-Dorf Kunow hat ja recht. Von „Wende-Kindern“ Auskunft über die Zeit von 1989/90 zu verlangen, wäre dasselbe, als wollte man von einem 1949 Geborenen erwarten, die Gründerzeit der DDR zu reminiszieren. Aber das lag ja auch gar nicht in der Absicht der Potsdamer Landeszentrale für politische Bildung, als sie, Karolin eingeschlossen, siebenundzwanzig heute 14- und 15-Jährige nach ihren Träumen, Wünschen und Lebenseinstellungen befragte. Nicht Soziologie und Statistik sollten dieses Projekt beherrschen, sondern gleichsam der heutige Geist der Jugend, die viel berufene „Generation von morgen“. Die Ergebnisse dieser Untersuchung aus Stadt und Land wurden am Dienstag in der Heinrich-Mann Allee vorgestellt. Der Andrang war gewaltig. Martina Schellhorn hat die Protokolle für die sehr einfühlsamen Porträts angefertigt, Achim Sommer lieferte im Wortsinn einprägsame Fotografien dazu. Die Ausstellung erstreckt sich über zwei Räume der Polit-Zentrale, Stoffbahnen zitieren die Jugendlichen aus Kunow, Wittenberge und Potsdam an den Wänden, kleine Leseblätter dazu, so gibt sich die „Generation von morgen“ die Ehre, bescheiden, nachdenklich, klug. Freilich nur die des Ostens, „die Wende“ ist am Westen ja vorbeigegangen. Den musikalischen Part dieser opulenten Vernissage übernahm Udo Koloska behufs Klarinette und elektronischer Konserve, dieORB-„Klartext“-Moderatorin Liane von Billerbeck tat sich als ostentativ „kritische Journalistin“ bei ihrer Laudatio mit dem Loben etwas schwer: Man habe nichts Besonderes vor sich, diese Real- und Gymnasialschüler sind nicht anders als andere, sie sagen nichts anderes und sehen auch anders nicht aus. Eigentlich sei diese Ausstellung ein „Nicht-Thema“. Da ist etwas dran. Aufmerken sollte man trotzdem, wenn Tim zwar seinen Traum vom Superstar träumt, aber kein Geld hat, sich per Telefon zu bewerben, Monique den Fortschritt zu eilig befindet und Sarah dem Land später als Staatsanwältin zu Recht und Ordnung verhelfen möchte. Paula hat Angst, „in der Zukunft mit Mann und Kind irgendwo rumzusitzen“, indes Robert P. sich „eine tolle Familie und ungefähr ein bis zwei Kinder“ wünscht. Auch der andere Wittenberger Robert fühlt sich in seiner Familie geborgen – wie spiegeln sich doch in den Kindern die Eltern. Jugendliche haben einen besonders feinen Sinn für Wahrheit und Gerechtigkeit. Luisa etwa schaut mit ihrem Papa immer ZDF- Nachrichten und regt sich auf, „wenn die nur immer labern und dann doch nichts machen“, Heiko aus Kunow ist da schon etwas weiter, fast wenigstens: „Mit Politik hab ich nichts zu tun. Leider hat sie vielleicht was mit mir zu tun“ Für ihn ist die DDR kein Thema, auch für Robert P. hat das Jahr 1990 „keine so große Rolle gespielt“, obwohl seine Oma noch heute Trabant fährt und sein Baumhaus eine FDJ-Fahne als Vorhang hat. Christina glaubt nicht an Gott und Paula nicht an die Jugendweihe, niemand müsse ihr sagen, dass sie nun 14 sei. Andererseits möchte sie noch lange nicht „gesiezt“ werden. Glück? Für Marcus bedeutet Glücklichsein „dass man alles in seinem Leben erreicht und trotzdem noch weitere Wünsche hat“. Tod? Christina will sich „sozusagen überraschen lassen“. Atemberaubende „Ansichten von Jugendlichen“, in der Tat: „Ihre Antworten waren kurz oder ausführlich, heiter oder traurig, zögerlich-suchend oder schlagfertig-selbstbewusst – aber immer von berührender Offenheit“, heißt es im Begleitblatt zur Exposition. Als Dank fürs Mitmachen bekam jeder ein T-Shirt mit dem Aufdruck „WendeKinder". Vielleicht hat es manche gefreut. Im nächsten Jahr ist natürlich schon alles anders, jetzt ist es so. Für die meisten ist die „Wende“ ja ohnehin kein Thema zur Alltagsbewältigung. Wie sagte es einer so trefflich: „DDR? Hatten wir noch nicht in Geschichte!“ Gerold Paul „WendeKinder" ist in der Heinrich-Mann-Allee 107 bis zum 18. Juni zu sehen. Mo. - Mi. 9 - 18 Uhr, Do. und Fr. 9 - 15 Uhr.
Gerold Paul
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