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Nur ein bis zwei Beerdigungen im Jahr. Der von der evangelischen Kirchengemeinde verantwortete Friedhof, einen Kilometer außerhalb von Grube, mit seinen 130 Gräbern wird ehrenamtlich betreut.

©  Manfred Thomas

Kultur: Besuch auch nach 20 Uhr

Der Friedhof von Grube liegt nicht im Ort. Durch den Schlänitzseer Weg geht es einen Kilometer weit nach draußen / Ein ganz persönlicher Spaziergang

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Der russische Krimi-Autor Grigori Tschachartschwili, bekannt auch als Boris Akunin, schrieb, dass Friedhöfe das Geheimnis der Zeit bergen, die vor uns war. Aber sie flüstern auch von der Zeit, die nach uns kommt. Diese stillen Orte, so will uns der Schriftsteller sagen, sind das Gedächtnis von Städten und Dörfern. Im vergangenen Sommer besuchten wir vier Friedhöfe in und um Potsdam und haben Erstaunliches entdeckt, sei es in der Historie oder in der Kulturgeschichte, von Menschen, deren Schicksale uns berührten. Auch in den kommenden Wochen laden wir Sie wieder zu einem Streifzug zu Stätten der Ruhe und des Gedenkens ein. Nach den russisch-orthodoxen Friedhöfen (PNN vom 19. Juli) folgt heute der Friedhof in Grube.

Der Linienbus nach Töplitz macht auch in Grube Station. Seit 1993 ist der Ort ein Teil der Landeshauptstadt. Bereits von 1939 bis 1952 gehörte er schon einmal zu Potsdam. Dazwischen war Grube jedoch eine eigenständige Gemeinde. Vom Dorfcharakter hat es auch heute nichts verloren. Mitten im „Zentrum“ hält der Bus, am ehemaligen Gasthof. Doch leider hat er geschlossen. An der Toreinfahrt ein Schild mit der ungastlichen Aufschrift: Hier wacht ein deutscher Schäferhund. Gaststätte und Kirche pflegten in den Dörfern früher eine gute Nachbarschaft. Nach dem Gottesdienst gingen die Männer noch oft zum Frühschoppen. Auch in Grube mag es so gewesen sein.

Das barocke Gotteshaus aus den Jahren 1745/46 mit dem gefälligen und malerischen Turm ist nach wie vor der geistliche Mittelpunkt der kleinen Kirchengemeinde von Grube. Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die Einwohner des Ortes um die Kirche zur letzten Ruhe gebettet. Doch der kleine Kirchhof erinnert heute kaum an seine ursprüngliche Prägung. Schade, denn er hätte viel über die Geschichte des Dorfes und seiner Menschen erzählen können. Zwei Grabplatten aus schwarzem Marmor stehen versteckt an der Kirchenwand. Die Eine erinnert an Carl Hagen (gestorben 1892), die Andere an Karl Michael (gestorben 1900). Auf diesem Begräbnisplatz wurden die Einwohner des Ortes beigesetzt. Sie waren zumeist Kossäten der Domäne Grube. „Dorfbewohner, die zunächst nur ein Haus und etwas Gartenland besaßen und zu Handdiensten verpflichtet waren. Bereits im Verlaufe des Spätfeudalismus gelang ihnen mehrfach die Übernahme von etwas Ackerland (bis zu einer Hufe), sodass ein Teil von ihnen seit dem 18. Jahrhundert zu den kleinen Bauern zu rechnen ist“, wie es bei Hans-Joachim Rach in „Die Dörfer in Berlin“ heißt. Doch für den letzten Gutspächter Manfred Ries, der Ende April 1945 von russischen Soldaten in Grube erschossen wurde, hat man die Gruft auf dem Soldatenfriedhof in Bornim gegraben.

Heute finden an der Dorfkirche keine Beerdigungen mehr statt. Ein idyllischer Garten ist aus dem Areal geworden, der einzigartige Stauden und Sträucher aufnahm. Die in dem Ort wohnende Gärtnerin Sabine Weichbrodt hat ihn vor wenigen Jahren gestaltet. Robuste Bänke und Tische erzählen davon, dass die Kirchengemeinde auch gern Feste feiert.

Eine Pockenepidemie machte sich nach 1900 auch in Grube breit, die Tuberkulose war ebenfalls nicht untätig. Mehr Menschen als in den Jahren zuvor starben. Auf dem Kirchhof wurde mittlerweile Platz Mangelware. Und so legte man weit draußen, außerhalb des Ortes, einen neuen Friedhof an. Ein Stück geringwertiges Ackerland wählte der Gutsinspektor dafür aus. Die Gräber wurden immer mehr aus der täglichen Sicht verbannt. Das „Mitten wir im Leben sind, von dem Tod umfangen“ könnte zwar jeden Augenblick jeden treffen, doch die Toten schiebt man seit dem vergangenen Jahrhundert gern weit weg. In Grube ruhen sie gut einen Kilometer vom Ortsteil entfernt. Doch die Trauerfeiern finden in der Kirche statt, denn draußen auf dem neuen Friedhof gibt es keine Trauerhalle. Der Sarg oder die Urne werden durch das Dorf dorthin gefahren. Die Trauergesellschaft folgt gemessenen Schrittes. Der lange Weg des Abschiednehmens hat aber auch etwas Tröstliches: Der Mensch ein Wanderer, Suchender, wissend um Endlichkeit und Begrenztheit. Oder Aufgehobener in einer neuen Existenzform?

Die letzte Fahrt führt durch den Schlänitzseer Weg. Hunde auf den Höfen bellen die Trauergesellschaft an, Pferde in den Koppeln der sattgrünen Wiesen interessieren sich aber nicht für die Vorbeiziehenden. Das reife Getreide auf den Feldern wartet in diesen Tagen auf seine Ernte. Dann plötzlich zwischen Acker-, Wiesen- und Weideland ein Areal, das von einem einfachen Zaun, viel Strauchwerk und Flieder umfasst wird, nur von Lindenbäumen überragt. Tiefe Stille umgibt den Friedhof. Ganz selten fährt ein Auto vorbei oder macht Halt. Der Besuch am Grabe eines Verstorbenen scheint wieder fällig zu sein. Die Pflanzen auf den Grabstellen – es ist die große Zeit der Eisbegonien – rufen nach frischem Wasser.

Nur ein bis zwei Beerdigungen im Jahr gibt es auf diesem Friedhof, in manchem auch keine, sagt Anke Spinola, Gemeindepädagogin im Pfarrdienst. Der von der evangelischen Kirchengemeinde verantwortete Begräbnisplatz mit seinen 130 Gräbern wird ehrenamtlich betreut. Mitglieder des Gemeindekirchenrates kümmern sich verdienstvoll um die vielfältigen Belange, die solch ein Friedhof mit sich bringt. Bis vor Kurzem war es jahrelang Helmut Gutschmidt und nun hat Mike Wagner die Verantwortung. „In der Regel finden hier nur Einwohner von Grube ihre letzte Ruhe. Doch es gibt auch Ausnahmen“, so Anke Spinola. „Im Winter des vergangenen Jahres haben wir eine junge Frau aus Potsdam zu Grabe getragen, die ich mit anderen Bekannten während ihres Sterbeprozesses begleiten durfte.“ Gut zwanzig Menschen haben sich während der schweren Krebserkrankung und während des Sterbens von Dana W. intensiv um sie gekümmert. Gebildet hat sich ein starkes Netzwerk von Helfenden, denen das Mitfühlen mehr war als eine gut gemeinte Formel.

In der Zeitschrift „chrismon“ war in der Juni-Ausgabe 2010 die Rekonstruktion des Abschieds zu lesen. „Was hält mich hier noch?“, fragte Dana manchmal. „Liebe Engel“, sagte sie, „lasst mich gehen, lasst mich einschlafen, schlafen, schlafen, schlafen.“ Sie verteilte Aufgaben für das „Danach“. Der einen Freundin diktierte sie Briefe an ihren Sohn Johannes, für jeden Geburtstag einen, bis er 18 wird. „Ob er mich vergisst?“, sorgte sie sich. Eine andere Freundin kaufte weiße Wollunterwäsche für den Sarg, ihre Oma strickte warme Socken, denn Dana fürchtete, sie werde entsetzlich frieren. Tom K. nahm Danas selbst gedrehte Videofilme an sich, um sie für Johannes zu schneiden. Doreen G., gelernte Schneiderin, kümmerte sich um das „Sterbekleid.“ Beerdigt wollte Dana nicht auf einem der Potsdamer Stadtfriedhöfe werden, sondern draußen auf dem Land. Auch nach 20 Uhr sollte man sie noch besuchen dürfen. „Auf dem Weg über den Friedhof kam der Wagen mit dem Sarg nicht durch den hohen Schnee. Da haben alle mit angepackt und geschoben. Bis zu ihrem Grab. Für viele war es das schönste Begräbnis, dem sie je beigewohnt hatten.“ Das Grab von Dana W. mit dem künstlerisch gestalteten Gedenkstein hat den Charakter eines kräftig blühenden Steingartens. Auf einem kleinen Stein liest man die Worte: „Wir vermissen Dich“. Ein Engel bewacht ihre Grablege. Überhaupt finden wir hier erstaunlich viele dieser Gestalten auf den Hügeln, geformt aus unterschiedlichsten Materialien.

Wer überregionale Persönlichkeiten sucht, der ist hier falsch am Platz. Auch ein Spaziergang durch die Geschichte von Grube ist kaum möglich. Leider wurden die 100-jährigen Steine vor einigen Jahren entfernt. Die heutigen Grabsteininschriften erzählen wie andernorts selten etwas über die Verstorbenen. Nur der Name und die Lebensdaten werden mitgeteilt. Keine Titel, Berufe oder Verdienste. Das Denkmal von Wilhelm Gutschmidt (gestorben 1968) gibt bekannt, dass der Verstorbene Landwirt in Grube war. Die Gutschmidts sind alteingesessene Bauern im Ort, genauso wie Emil Bernicke oder Wilhelm Frehde, die ebenfalls hier ihre letzte Ruhe fanden.

Emotionale Gestaltung ist selten angesagt, eher Sachlichkeit. Da liegt zwar ein kleines Steinbuch mit der Inschrift „Ich denk an dich“ auf einem Grab, da liest man auf einem Denkmal „Drei halten zusammen“, auf einem anderen „Immer im Herzen“. Hier und da steht eine Kerze auf dem Grab, als ein Erinnerungsleuchten. Und vor allem schmücken Blumensträuße die Gräber. Als Gruß der Lebenden an die Toten.

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