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Machte als Erster den Fernseher zum Kunstobjekt: Wolf Vostell.

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Kultur: Bild-Störungen

Sonderausstellung zu Wolf Vostell bei fluxus+

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Nichts ist muffiger als die Avantgarde von gestern, nichts moderner als der Mond von morgen. Verschollen die Parolen der einst Jungen Wilden, wonach „alles“ Kunst und diese wie das Leben sei. Museen haben ihre Werke längst eingetütet, archiviert und aufgefressen. Einer von ihnen freilich, Wolf Vostell, hat im Potsdamer Museum „fluxus+“ sogar einen Stammplatz erkämpft. Weil nun das Kulturland Brandenburg sein aktuelles Themenjahr aber betont „medial“ zur Schau stellt, entschloss man sich im Atrium des Hauses zu einer Sonderschau. Thema: „Wolf Vostell – Fluxus, Film und Fernsehen“.

Neben ein paar nicht so tollen Skulpturen, wie etwa die glattpolierte Bronze „Berlinerin“ mit dem TV statt eines Uterus im Bauch, findet man sehr interessantes und vor allem lehrreiches Material, wie dieser Künstler sich seit den frühen Sechzigern abmühte, „den Kunstbegriff zu erweitern“ und damit auch aus „Otto Normalverbraucher“ einen brauchbaren Menschen zu machen. Vergeblich. Auch der geht heute ab und an ins fluxus+ und grinst zu Vostell: „Also ich – ich bin derselbe geblieben!“ Immerhin konnte der gebürtige Leverkusener von sich behaupten, als Erster den noch „jungen“ Fernseher zum „Kunstobjekt“ gemacht zu haben. Natürlich ging es darum, zu stören. Vostell (1932-1998) hat die teuren Prestige-Objekte einbetoniert, zertrümmert, hat TV-Programme mit Magneten bis zum bildlichen Totalverlust abgelenkt und verzerrt, und das, obwohl man damals noch vom öffentlich-rechtlichen Bildungsfernsehen reden konnte; was danach kam, beschreibt das Wort „Massenmedium“ am besten. Auf gleiche Art machte er sich über die Flugzeuge her und über „des Deutschen liebstes Kind“, das Automobil. Auch hier: denunzieren, zertrümmern, einbetonieren, zur erzhässlichen Skulptur auftürmen.

Die dazugehörenden Werk- und Rezeptionsprozesse wurden per Film und Video aufgezeichnet und im Sinne des „erweiterten Kunstbegriffs“ weiterverarbeitet. Vostell entdeckte sogar, dass die akustische Seite aller „Destruktion“ für die „große Oper“ taugt. Gar nicht mal so schlecht! Zu den Klangbeispielen der Sonderausstellung gehören „Garten der Lüste“ nach dem Hohelied Salomonis und seine Versuche um „Hamlet“ auf einer Kölner Theaterbühne.

Einige seiner Avantgarde-Filme werden auf einem Monitor im Atrium gezeigt, darunter „Starfighter“ und „Brotvermessung“ aus den späten sechziger Jahren. Das 45-minütige Hauptstück „Desastres“ von 1972 hingegen ist im Videoraum zu sehen. Schon interessant, wie Vostell hier eine Art Beton-Spur durch Landschaft, Bahnwaggon und einen nackten Frauenkörper legt.

Aber natürlich haben die Aussteller auch an den Normalverbraucher gedacht. Damit er nicht ganz in den Mond blickt, läuft für ihn ein „richtiger“ Dokumentarfilm über Leben und Werk des großen Meisters direkt vor Ort.

Im Rückblick scheinen Vostells mehr oder weniger wilden Versuche, dem „Stino“ durch Bildstörungen und einbetonierte Autos die lebenswichtigsten Statussymbole zu vermiesen, nur naiv und in jeder Hinsicht museumsreif. Heute müssten, bei gleicher Aufgabenstellung, ganz andere Kaliber her.

Vostells allerwichtigstes Opus ist mehr als je zuvor vakant: „Frieden“, den er genialerweise schon 1979 zum „größten Kunstwerk“ erklärte. Das wiegt sein Scheitern an Otto Normalverbrauchers bildgestörtem Grinsen natürlich hundertmal auf. Gerold Paul

Die Vostell-Sonderausstellung ist bis zum 29. Januar 2012 im Museum fluxus+ zu sehen, Schiffbauergasse 4f, Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag von 13 bis 18 Uhr, am 24. und 25. Dezember ist das Museum geschlossen

Gerold Paul

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