Kultur: Bildgeschichten
Wie Gemälde von Nolde in Potsdam versteckt wurden
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Gut gewählt der Ort, doch unbekannt die Stelle: Tatsächlich weiß man zwar, dass auf dem Gelände der früheren Nationalpolitischen Erziehungsanstalt, kurz Napola, heute Sitz der Landesregierung, einige Bilder des entarteten Malers Emil Nolde versteckt worden waren, doch keiner weiß, im welchen Haus, in welchem Keller. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig. Am Donnerstag machte der Potsdamer Kunst-Verein im Brandenburg-Saal des Wirtschaftsministeriums mit dieser ganz besonderen Potsdamer Geschichte bekannt. Überwältigend viel Publikum kam nicht, aber dafür war das Programm recht erlesen. Vereins-Chef Andreas Hüneke führte mit einem Vortrag in die Materie ein, Mitglieder der Kammerakademie Potsdam spielten ein Concertino des damals gleichfalls verfemten Komponisten Erwin Schulhoff, indes der Potsdamer Schauspieler Michael Schrodt zum Abschluss zwei Kapitel aus Siegfried Lenzens Roman „Deutschstunde“ (1968) las, welcher sich ja auf künstlerische Art mit dem Thema Nolde beschäftigte.
Zuerst stellte Andreas Hüneke klar, dass dieser Vorzeigemaler des Expressionismus nicht 1922 in die Partei eingetreten war, sondern erst zwölf Jahre später, als die NSDAP (N) für Nord-Schleswig gegründet wurde; er nahm auch zu Noldes „antisemitischen Äußerungen“ Stellung. Nun ist die Sache ziemlich interessant. Im Gegensatz zu heute schien man damals noch an die Existenz einer „deutschen Kunst“ geglaubt zu haben, der Expressionismus inklusive, Nolde inklusive. Die Jugend bezog ihn 1933 sogar noch in ihre Demos für „deutsche Kunst“ ein. Vier Jahre später sah das ganz anders aus, Nolde fand sich in der Doppelausstellung „Entartete Kunst“ in München und Berlin wieder. Zwar bekam er seine Bilder 1939 noch einmal zurück, doch 1941 wurde er wegen „fehlender Loyalität“ aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen. Berufsverbot. Da lebte er längst schon dicht an der dänischen Grenze, auf seinem Anwesen „Seebüll“ bei Neukirchen. Allerdings hatte er noch ein Atelier in Berlin. Und hier nun beginnt die Potsdamer Geschichte. Nolde beauftragte den weitläufigen Verwandten und Napola-Lehrer Christian Carstensen, die Bilder aus Berlin herauszuholen. Dieser versteckte sie da, wo niemand es vermuten würde, direkt auf dem Gelände der NS-Eliteschule.
Ein paar Bildprojektionen zeigten, um welche Werke es sich dabei handelte, um „Die Zigarettenraucherin“ und „Die drei Sibirier“ zum Beispiel. 1944 gelangten die Werke dann nach Nordfriesland, in Noldes Hände. Anderes verbrannte im zerbombten Berlin – genau wie die Lieblingsmühle, von der „Deutschstunde“ erzählt. Hier wohnte „Der große Freund der Mühle“, wie Nolde ihn (und sich) poetisch gemalt, und hier waren auch seine Bilder versteckt und verbrannt. Dazu eine eindrucksvolle Lesung des HOT-Schauspielers, genauso wie der gediegene Musikvortrag von Bettina Lange (Flöte), Christoph Starke (Viola) und Tobias Lampelzammer (Kontrabass). Schulhoffs atonales Concertino ist ja auch fabelhaft komponiert: Auf der Suche nach dem „goldenen Schnitt“ setzt der düster gestimmte Komponist immer zwei dialogisierende Instrumentalstimmen gegen eine dritte. Allein das Rondo wirkte heiter und befreiend. Ansonsten Schummerlicht im Schummersaal, große und ernste Gedanken über zwei Stunden. Warum nicht lockerer, heißt es nicht, ernst sei das Leben, heiter die Kunst? Fragt den Großen Freund der Mühle, der wird es bestätigen! Gerold Paul
Gerold Paul
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