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Aberwitzig. Mit einer skurrilen Persiflage auf Kleist’s Held Kohlhaas, der gegen die Obrigkeit zu Felde zieht, beginnt das Theaterfestival Unidram.

© Willi Filz/T-Werk

Kultur: Bildmächtige Verzweiflung

13 Ensembles sind an fünf Tagen beim Internationalen Theaterfestival Unidram zu sehen, das am 30. Oktober im T-Werk beginnt

Stand:

Akkordeonmusik. Trommelwirbel. Eine Stadt in Flammen. Hier geht es ums Ganze. Um Menschen, die den Glauben an die Gerechtigkeit verloren haben und zum Brandschatzer und Mörder werden. Um Kohlhaas, den liebevollen Familienvater und ehrbaren Rosshändler, dem die Obrigkeit so übel mitspielt, dass er zur Selbstjustiz greift und eine ganze Stadt niederbrennt. Die Kleistsche Novelle von Kohlhaas taugt noch immer, um in Atem zu halten, zumal in einer so aberwitzigen Inszenierung wie vom belgisch-deutschen Agora Theater und Theater Marabu, die Schauspiel, Artistik, Slapstick und Livemusik wild durcheinanderwirbeln und zwischen Klamauk und heiligem Ernst nichts auslassen, um das Auseinanderbrechen dieser Welt schwungvoll zu erzählen. Sie spülen ganz aktuelle Bilder hoch, wenn sie zeigen, wie plötzlich ein Schlagbaum runtergeht und man nur noch mit Passierschein ins gelobte Land hineinkommt.

„Heute: Kohlhaas“ ist der Auftakt für das Internationale Theaterfestival „Unidram“, das am kommenden Dienstag im T-Werk eröffnet wird. Bereits zum 19. Mal. Wird man nicht irgendwann müde, so ein Mammutprogramm zu organisieren, zumal in so einer kleinen Truppe wie die vom T-Werk? Jens-Uwe Sprengel verneint. „Ein 19-Jähriger ist doch noch recht jung, kann aber auch schon auf Erfahrungen aufbauen und im positiven Sinne Routine haben“, sagt der T-Werk-Pressesprecher. Mühsam aber beherzt habe er sich mit seinen drei Kollegen durch die 300 Video-Bewerbungen zum jetzigen Festival gearbeitet. Es wurde heiß diskutiert, vieles für gut befunden, anderes verworfen. Oft drifteten die Meinungen auseinander. Wie auch beim Video „Kohlhaas: Heute“. Schließlich fuhr eine Kollegin nach Hamburg, um die Inszenierung live zu sehen. Und sie kehrte begeistert zurück. „Die Erwartungen an die Eröffnung sind eben besonders hoch, da muss man noch genauer schauen“, so Sprengel.

Die langjährigen Festivalerfahrungen von T-Werk führten dazu, dass sich Unidram nun zum zweiten Mal ganz kompakt und auf fünf Tage verdichtet präsentiert. So kann der Besucher an einem Abend mehrere Vorstellungen besuchen, denn die Zeiten sind aufeinander abgestimmt. Auch das große Doppelzelt vom Vorjahr wird wieder aufgespannt, um die ausgelassene Festivalatmosphäre bei Begegnung, Konzert und Tanz erneut anzuzetteln. Zum Abschlusskonzert geht es indes in die große Waschhaus Arena, um der Riesenband von Zic Zazou aus Frankreich ausreichend Platz für ihre Werkhalle zu geben, in der sie auf Schlagbohrern und Sägen musizieren und Pfannen-Ping-Pong spielen. Ohropax ist nicht vonnöten, verspricht Sprengel. „Es ist durchaus gut hörbare Musik, die die neun Virtuosen mit ihren Akkorden im Akkord fabrizieren.“

Doch bevor schon ans Ende gedacht wird, kommen erst mal über 100 Künstler in 13 Gruppen zum Zuge, um ihre Geschichten um Bedrohung und Zerstörung, um Illusion und Schönheit zu erzählen. Acht Produktionen davon sind deutsche Erstaufführungen.

Als besonderer Star wird der Australier Neville Tranter erwartet, der seinen Klappmaulpuppen bitterböse Worte entlockt. Kein Wunder, wenn es um Krieg und Terror geht, wie in dem Stück „Punch und Judy in Afghanistan“. Da wird nicht politisch korrekt auf Diplomatie geschaut, sondern einem ätzenden Sarkasmus gehuldigt – rund um den Rüpelkaspar Punch alias Bin Laden nebst blutrünstiger Lieblingsfrau Judy. Doch er kann auch anders, dieser Puppenbeschwörer Tranter. In seiner Arbeit „Mathilde“ wispern die zerzausten Klappmaulpuppen mit ihren verschrumpelten Körpern ganz leise über die Angst vor dem Tod. Mathilde ist 102 Jahre, längst Zeit zu gehen. Aber noch wartet sie darauf, dass ihr einstiger Geliebter sein Versprechen einlöst und sie noch mal besucht. „Dieser Entertainer, den wir das erste Mal zu Gast haben, brilliert mit trockenem Humor und geht in die Themen voll rein“, zeigt sich Jens-Uwe Sprengel begeistert.

Auch wenn Unidram durch das Puppenspiel dominiert wird, gibt es eine Vielzahl theatraler Formen an den sieben Spielorten in der Schiffbauergasse zu entdecken. Sehr extrem zeigt sich die „krautproduktion“ aus Zürich, die bis an die Ekelgrenze geht, ja auch pornografische Videosequenzen zeigt, um den Zuschauern die eigene voyeuristische Lust vor Augen zu führen. Nicht umsonst hat „Bauer sucht Frau“ so hohe Einschaltquoten. Dieses stark polarisierende Ensemble verweigert sich jedem klassischen Theateransatz. „Aber es gibt auch Schönes, das allein durch seine Bilder besticht, wie das italienische Zaches Teatro mit seinen Vogelmenschen und meditativen Schattenwesen“, so Jens-Uwe Sprengel. Besonders beeindruckt zeigt er sich von der Prager Tänzerin Andrea Miltnerova. „Sie arbeitet nur mit der Oberfläche ihres Rückens . Man nimmt jede Bewegung unter der Haut wahr. Es ist wie ein Küken im Ei, das sich befreit.“ Für ihn ist „Fractures“, dieses 15-minütige Solo, ein kleiner funkelnder Edelstein im Programm.

Insgesamt zeichne sich im Festival die deutliche Tendenz ab, dass sich die Entwicklung weg vom Figurativen hin zu Existenzräumen bewege. „Die klassische Rollendramaturgie, in der ich als Zuschauer nachempfinden kann, wie sich eine Figur entwickelt, gibt es kaum noch. Stattdessen werde ich in einen bestimmten Raum geworfen und muss mich zum Geschehen verhalten.“ Unidram zeige aber nicht das Experiment des Experiments wegen. „Es geht uns um Spannungsbögen und um ganz subjektive Bezüge“, betont Sprengel. Und da hat der Zuschauer eben die Wahl zwischen bildmächtiger Verzweiflung oder malerischer Meditation.

Unidram ab Dienstag, 30. Oktober, Schiffbauergasse, Karten unter Tel.: (0331)719139 oder kontakt@t-werk.de

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