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Kultur: Bitte mehr Gefühlswärme! Silvesterkonzert in der Potsdamer Nikolaikirche

„Es geht auch anders, doch so geht es auch“ mag sich, frei nach Brecht, Nikolaikirchenkantor Björn O. Wiede gedacht haben, als er bei seinem Silvesterkonzert mit der Neuen Potsdamer Hofkapelle im ausverkauften Gotteshaus traditionell nicht auf Beethovens Neunte setzte, sondern erneut sinfonischem Repertoire anderer Couleur vertraute.

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„Es geht auch anders, doch so geht es auch“ mag sich, frei nach Brecht, Nikolaikirchenkantor Björn O. Wiede gedacht haben, als er bei seinem Silvesterkonzert mit der Neuen Potsdamer Hofkapelle im ausverkauften Gotteshaus traditionell nicht auf Beethovens Neunte setzte, sondern erneut sinfonischem Repertoire anderer Couleur vertraute. Diesmal war es Johannes Brahms, dessen Violinkonzert op. 77 und 2. Sinfonie op. 73 den Jahreswechsel begleiteten.

Die Stückwahl schien nicht willkürlich, sondern offenbarte innere Zusammenhänge. Beide Werke stehen in D-Dur, einer Tonart, von der Hector Berlioz meinte, sie sei „heiter, lärmend, etwas gewöhnlich“. Dass sie aber auch pastoralen Stimmungen und klanglicher Gefühlswärme ein Nährboden sein kann, teilte er allerdings nicht mit. Brahms schon, denn in ihrer vorwiegend lyrisch-heiteren, innigen Ausdruckswelt, in der klassischen Ausgewogenheit sind beide Werke eng miteinander verwandt. Und noch etwas macht sie für ein Konzert zu Silvester geeignet: Das Violinkonzert wurde am Neujahrstag (1879) uraufgeführt, die 2. Sinfonie am 30. Dezember (1877).

Voluminös und weitschwingend breitet sich die Orchestereinleitung zum Violinkonzert aus. Vibratoreich stimmen die tiefen Streicher das erste Thema an, das durch eine sehnsuchtsvolle Melodie der Oboe ergänzt wird. Die übrigen Streicher sind allerdings zu differenziertem Vibratogebrauch angehalten, was dem Ganzen zu einer kraftvollen, analytischen, fast antiromantischen Lesart verhilft. Allerdings nicht immer zum Wohl des Werkes. Es folgt sinfonischen Gestaltungsprinzipien, wobei das Soloinstrument nicht in den virtuosen Vordergrund tritt, sondern als Erste unter Gleichen in Erscheinung tritt. Wie improvisatorisch wirkt ihr Ersteinsatz. Von den Holzbläsern sanft geleitet, singt sie sich zum Hauptthema heran. Der österreichisch-deutsche und in Potsdam bestens bekannte Solist Wolfgang Hasleder bevorzugt dabei ein kammermusikalisch dezentes Musizieren. Zurückhaltend ist sein Ton, gleichsam erfüllt von barockgeprägter Behutsamkeit. Doch manchmal gleicht die Einordnung ins Ganze einer Unterordnung – bis hin zur Unhörbarkeit. Den exorbitanten technischen Anforderungen wie Doppelgriffattacken, gebrochenen Akkorden, schnellen Passagen und rhythmischen Veränderungen ist er genauso gewachsen wie leidenschaftlichen Aufschwüngen, abrupten Wechseln aus lyrischer Versenkung in schroffe Ausbrüche. Schade nur, dass dabei die klangliche Gefühlswärme, das erforderliche Saitensingen mit seinem herben Schmelz, die spielerische Lockerheit und gestalterische Leichtigkeit ein wenig ins Hintertreffen geraten. Ob der Griff des exzellenten Kammermusikers zu diesem „Champions League“-Konzert, das selbst manchen gestandenen Virtuosen straucheln lässt, unbedingt der richtige war? Eine Zugabe gibt er nicht.

Bei der Deutung der 2. Sinfonie hält sich der Dirigent getreu an die Berlioz-Einschätzung: heiter, lärmend, etwas gewöhnlich. Und so herrscht an fehlender Naturidylle und Geschmeidigkeit kein Mangel. Wie schön wäre es gewesen, wenn die Geigen Glanz und Wonne, Wärme und Eleganz hätten verbreiten können. Oder die kraftvollen, nicht ganz konfliktlosen Steigerungen weniger grell und spröde erklungen wären. Motorischer Drive statt innere Bewegung, Lautes statt intensiver Gestaltung – vieles wirkt wie aufgebrezelt. Für den Jubel bedankt sich das Orchester mit dem Dakapo des finalen Schlussteils.

Peter Buske

Peter Buske

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