
© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN
„Bitte vergesst sie nie und nie“: Wieland Förster über seine Skulptur für die Potsdamer Gedenkstätte Lindenstraße
Der Künstler wollte mit seiner Skulptur für die Gedenkstätte Lindenstraße einen Ort mitgestalten, der es ermöglicht, mit den Opfern mitzuleiden.
Stand:
Ich bin seit meiner Jugend ein leidenschaftlicher Antifaschist. Kunst muss heute, in Deutschland zumal, antifaschistisch sein. Und die Lindenstraße, die ist für mich, der ich ein Kunstwerk zum Fühlen, zum Mitleben gemacht habe, ein wichtiger Ort. Ich glaube nämlich, dass es heute nicht mehr genügt, eine Tafel vor einem Konzentrationslager oder vor einem Gefängnis anzubringen.
Im Zweiten Weltkrieg sind so viele Menschen gestorben, dass es für niemanden zu fassen ist. Für mich ist es wichtig, einen Ort zu gestalten, der es ermöglicht, mit den Opfern mitzuleiden durch ein Kunstwerk. Die Gedenkstätte Lindenstraße ist so ein Ort.
Ich war verwöhnt von den jungen Astrophysikern auf dem Telegrafenberg, die meine Arbeit und mich getragen haben mit ihrer begeisterten, fast revolutionären Bewegung. Ich denke da zum Beispiel an Rudolf Tschäpe, der für Potsdam regelrecht brannte und der es geschafft hat, mit seinem Interesse sogar bis zur Ostsee zu dringen. Ich erinnere mich, dass er damals einen alten Volvo kaufte, der ihm die nötige Bewegungsfreiheit verschaffte, um seine Botschaft zu verbreiten. Die jungen Wissenschaftler haben meine Arbeit angenommen und mit Leidenschaft begleitet und so fiel es mir leicht, mich vollkommen auf die spätere Gedenkstätte in der Lindenstraße zu konzentrieren.
Es gab damals, als ich mir das Gefängnis ansah, eine junge Wissenschaftlerin, von der ich erfuhr, dass der Hof geteilt ist durch eine Mauer, auf der bewaffnete Wächter patrouillierten.
Dieser Gedanke an die Gefangenen, Gemarterten zu den Füßen der Schergen hat mich fast blind gemacht von der Begierde, eine Botschaft zu gestalten, nämlich die, dass jeder Tote furchtbar ist und dass wir die Verantwortung tragen, nicht zu vergessen. Denn das Opfer geht einen Weg der Schändung, der Folter, der Gewalt, es geht den Weg des Leidens. Sein letzter Ausdruck ist vielleicht ein Schrei in den Himmel. Und den versuchte ich, darzustellen. Den hilfesuchenden Blick in den Himmel und seinen letzten Schrei aufzufangen und festzumachen in unseren Herzen. Ich danke allen für die Zuneigung, die sie den Opfern entgegenbringen.
Bitte vergesst sie nie und nie.
Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre „30 Blickwinkel auf 30 Jahre Gedenkstätte Lindenstraße“, die anlässlich des Geburtstages der Gedenkstätte veröffentlicht wurde.
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