Bei den Eskimos werden die Alten allein zurückgelassen, dass sie in Ruhe sterben können. Genauso fühlen sich die Insassen des Seniorenheims in einem Kibbuz in den Hügeln Galiläas. Nur dass sie weiß Gott noch nicht sterben wollen. Sie wurden einfach „vergessen“, als in einer Nacht- und Nebelaktion das überschuldete Gemeinwesen geräumt wird, um einem zahlungskräftigen Investor Baufreiheit für ein Spielcasino zu gewähren.
Ohne Wasser und ohne Strom ist das kleine Häufchen couragierter und schrulliger Senioren anfangs etwas hilflos, doch schnell wird in ihnen der einstige anarchistische Widerspruchsgeist reaktiviert, mit dem sie sich vor 60 Jahren in das kollektive Abenteuer Kibbuz stürzten. Bittersüße Erinnerungen schwappen hoch. Und es wachsen auch längst verschwunden geglaubte Kräfte nach. Die Krücken des Alters werden zum beflügelnden Kampfstock, den sie gegen die drohende Abschiebung mutig schwingen.
Der Film „The Galilee Eskimos“, der während des 13. Jewish Film Festivals Berlin und Potsdam am Samstag im Filmmuseum gezeigt wird, ist eine aufrührende Geschichte um rührende alte Leute, die Regisseur Jonathan Paz zwischen leiser Melancholie und feinsinnigem Humor zielsicher ansiedelt.
Sein Abgesang auf eine Utopie beginnt mit einer Rückblende. Kinder in Mehrbettzimmern werden von ihren Eltern mit einer Gute-Nacht-Geschichte in den Schlaf geschickt. Dann machen sich die Großen auf den Weg: kein Kuscheln mehr, nur ein letztes Winken, ein sehnsuchtsvoller Blick durchs Fenster. Der Vater zieht mit ebenso schwerem Herzen von dannen. Ins andere Haus. Die selbstverordnete Kollektivierung fordert ihren Tribut, auch in punkto Pädagogik.
Doch was ist aus den Kindern der sozialistischen Revolutionäre geworden? Der Film erzählt nicht viel darüber, nur dass sie Kibbuz und Eltern schroff den Rücken kehrten. Die Tränen in den Augen der Alten kommen zu spät.
Noam, Lulu und Yali sind etwa in dem gleichen Alter, wie damals die ersten Kibuzzianer. Auch sie teilen ihre Träume und ihr Leben: allerdings in einer kleinen WG und im quicklebendigen Tel Aviv.
„The bubble“ („Die Luftblase“) – der neueste Erfolgsfilm von Eytan Fox, der auf der diesjährigen Berlinale sein begeistertes Publikum fand – erzählt über die Liebe in all“ ihren Facetten, über ausgelassene Parties, Friedensraves am Strand, das Politisieren beim Abhängen in Cafés: über den ganz normalen Alltag junger Leute. Doch im Nahen Osten gehört zur Normalität auch der Terror, diskriminierende Grenzkontrollen, die Dauerkonflikte zwischen Israel und Palästina. Und so ist es eben nicht normal, dass sich ein Jude in einen Araber verliebt. Anfangs scheint es zwar so, als würde das so aufgeschlossene WG-Dreiergespann auch dieses Problem lösen. Sie stülpen den illegal aus Nablus eingewanderten Ashraf einfach eine jüdische Identität über. Doch das geht nicht lange gut. Die so zarte, aufrichtige Männerliebe zwischen Noam und Ashraf gerät in den schmutzigen Sog von Voreingenommenheit, Familienehre und unversöhnlicher Rache. Das erschütternde Ende ist vorprogrammiert, in dieser Konsequenz allerdings kaum begreifbar. Der Hauch von Hoffnung, den dieser Film anfangs so leichtfüßig vermittelt und dem man so gerne folgt, findet keine Gnade. Die großherzig beschworene Normalität wird rigoros weggebombt.
Diese zwei Filme, die beide am Samstag zu sehen sind, schüttelt man nicht so einfach ab. Zurück bleiben eindringliche Gesichter, die sich wie Fragezeichen einbohren.
Eröffnet wird das kleine Festival indes mit einer Lesung. Andreas M. Schmidt, der in Andreas Dresens Film „Sommer vorm Balkon“ brillierte, erzählt am Freitag um 18 Uhr in „Alles ist erleuchtet“ von der Suche des jungen Amerikaners Jonathan nach jener Frau, die einst seinem Großvater das Leben rettete. Das war in einem kleinen ukrainischen Dorf, das unter der Nazi-Besatzung von der Landkarte gelöscht wurde. Anschließend ist auch die Verfilmung dieses Erfolgsromans durch Liev Schrieber zu sehen. Eine Reise, die ebenfalls mit Unvorhersehbarem endet.
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