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Kultur: Bleiben die Kleinen auf der Strecke?
An der Förderung der Chormusik in Potsdam gibt es Kritik, weil das meiste Geld die großen Chöre für ihre sinfonischen Aufführungen beanspruchen
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In Potsdam wird viel gesungen. Über 20 Chöre für alle Altersgruppen und musikalische Vorlieben bilden eine lebendige Chorlandschaft mit Kinder- und Seniorenchören, Männer- und Frauenchören, Gospelchören und Vokalensemble. Regelmäßig finden Konzerte statt, in Kirchen, großen und kleinen Sälen, auch gemeinsame Konzerte wie das traditionelle Adventssingen. Und wie das traditionelle Adventssingen der Potsdamer Chöre am Wochenende gezeigt hat, ist diese Form des gemeinsamen Singens auch beim Publikum beliebt. Die Konzerte am Samstag und Sonntag in der Nikolaikirche waren ausverkauft.
Gerade die Aufführungen großer Chöre mit sinfonischer Begleitung, vom Sinfonischen Chor der Singakademie unter Leitung von Thomas Hennig, der Potsdamer Kantorei unter Leitung von Ud Joffe und dem Oratorienchor unter Leitung von Joachim Walter, ziehen viel Publikum an und sind nicht selten ausverkauft: Bachs Weihnachtsoratorium oder Händels Messias in der Weihnachtszeit, Passionen zu Ostern und das Festival „Vocalise“ im Herbst zählen zu den Höhepunkten im Potsdamer Konzertkalender. Dabei sind die meisten Chöre auf umfangreiche finanzielle Unterstützung angewiesen. So erhalten sechs der großen und mittleren Chöre von der Stadt Mittel zur expliziten Finanzierung der Orchesterbegleitung. Die Verteilung der Gelder regelt seit Jahren das Forum Chorsinfonik, ein Gremium, das sich aus je einem Repräsentanten jedes der sechs geförderten Ensembles sowie je einem Vertreter aus Kulturausschuss und Landesmusikrat zusammensetzt. Den Vorsitz führt derzeit Konstanze Sander vom Landesmusikrat.
Nun wird im Forum sowie im Kulturausschuss über die Praxis der Verteilung debattiert. Erstmals wurde der Vorwurf laut, manche Chöre würden bevorteilt, andere zu wenig unterstützt. „Herr Joffe kämpft sehr leidenschaftlich für seine eigenen Chöre“, formulierte es Helmut Przybilski, der für den Kulturausschuss im Forum Sinfonik sitzt. Für die sechs Konzerte der von Kantor Ud Joffe geleiteten Chöre, Potsdamer Kantorei und Neuer Kammerchor, bekomme dieser eine unverhältnismäßig hohe Summe. Kleinere Chöre wie der Potsdamer Männerchor und der Nikolaichor, den Kantor Björn O. Wiede leitet, würden automatisch in die sogenannte Kategorie B eingestuft und bekämen dann weniger Geld. Und ein Antrag der Potsdamer Vokalistinnen, ein vergleichsweise kleiner Frauenchor, über 1500 Euro, wurde bei der Verteilung der Mittel für 2014 gleich gar nicht berücksichtigt, so die Kritik von Przybilski.
Nach Beratungen im jüngsten Kulturausschuss soll deshalb jetzt dem Forum eine Jury externer Fachexperten zur Seite gestellt werden. Dieser Vorschlag von Helmut Przybilski hatte bereits in der Ausschusssitzung im November breite Zustimmung gefunden und wurde in der vergangenen Sitzung am Donnerstag bekräftigt. „Das hat mir noch nie gefallen, dass die Geldempfänger das Geld auch selbst verteilen“, sagte Elisabeth Schöneich, sachkundige Einwohnerin (Grüne). Ab sofort soll sich das Forum auch an der Meinung der Jury orientieren, um objektiver entscheiden zu können. Denn sonst würden die kleineren Chöre weiter benachteiligt, so Helmut Przybilski.
„Das ist so nicht richtig“, sagt der Leiter der Potsdamer Kantorei, Ud Joffe, Mitglied im Forum, zu den Vorwürfen. „Die Verteilung der Gelder läuft seit zehn Jahren nach Prinzipien, die die absolute Mehrheit der Vertreter der Chöre für vernünftig hält.“ Dass die drei großen Potsdamer Konzertchöre mit zwei Projekten im Jahr berücksichtigt werden, habe Gründe: 2000 sei es zunächst um Unterstützung für die Singakademie, den Oratorienchor und die Potsdamer Kantorei gegangen, sagt Joffe. Jeder dieser drei Großen bekam zwei Konzerte im Jahr finanziert. Man einigte sich mit der Stadt auf die sogenannte Orchesterpauschale von 12 500 Euro beziehungsweise 18 750 Euro für eine doppelte Aufführung. Mit der Zeit wurden es mehr Chöre, die über das Forum Gelder erhielten, das Budget von anfangs 85 000 wurde auf 95 000 aufgestockt. In diesem Jahr standen 110 500 Euro zur Verfügung. „Gerungen wurde über die Verteilung immer“, so Joffe weiter, man sei sich aber immer einvernehmlich einig geworden.
Das sieht Helmut Przybilski anders: „Die 1500 Euro für die Potsdamer Vokalistinnen hätte man irgendwo abknapsen können.“ Er stellt zudem die Kategorisierung in A- und B-Chöre infrage. „Die Chöre wurden nie von einer Jury eingestuft.“ Und sagt weiter: „Man bekommt das Gefühl, die langjährig etablierten Chöre bekommen den größten Anteil der Fördersumme.“
„Ein Gießkannenprinzip, das ist nicht im Sinne des Erfinders“, sagt dazu Kantor Ud Joffe. „Es sollte durchaus nach Gattungen und Ensemblegröße differenziert bewertet werden.“ Um ein großes Werk wie Verdis „Requiem“, den „Elias“ von Mendelssohn Bartholdy oder das „Requiem“ von Brahms aufzuführen, bedürfe es einer gewissen Mitgliederzahl.
Die Mitgliedschaftsbedingungen und die Bewertungskategorien für die Erstattung der Orchesterkosten sind in dem Statut fachliche korrekt definiert, so Joffe: A-Chöre ab 80 Mitgliedern bekommen im Jahr zwei chorsinfonische Aufführungen finanziert, B-Chöre ab 24 Mitgliedern ein bis zwei Aufführungen. Kleinere Chöre, Schulchöre und liturgische Chöre können eine Projektförderung beantragen.
Dass die Potsdamer Vokalistinnen nicht bedacht wurden, liege an dem nicht satzungsgemäßem Antrag, erklärte die Sprecherin des Forums, Konstanze Sander, auf Anfrage. „Die Vokalistinnen brauchen kein Orchester, sondern nur einzelne Instrumente. Damit sind die Förderbedingungen nicht gegeben.“
Allerdings gibt es nun Überlegungen, die strikte Kategorisierung aufzuheben, das habe sich in der letzten Sitzung des Forums in der vergangenen Woche gezeigt. Auch Konstanze Sander befürwortet eine externe Jury, die dann die Konzerte besuchen würde. Auf die Frage, ob das Forum grundsätzlich geeignet sei, Entscheidungen zu treffen, da womöglich die Mitglieder zu sehr eigene Interessen vertreten, sagte Konstanze Sander: „Das ist zu überlegen.“ Zudem soll jetzt die seit Jahren unbesetzte Stelle eines externen, renommierten Fachexperten, laut Satzung stimmberechtigtes Forumsmitglied, besetzt werden. „Die Stadt soll jemanden dafür vorschlagen“, so Konstanze Sander. Bis dato hatte es im Forum stets geheißen, die Mitglieder könnten selbst über die Qualität urteilen. Laut Satzung muss diese Stelle auch aus rechnerischen Gründen besetzt werden: „Die Zahl der unabhängigen Fachpersönlichkeiten sollte mindestens ein Drittel der stimmberechtigten Mitglieder umfassen“, heißt es. Von den acht stimmberechtigten Mitgliedern sind das derzeit nur zwei, sechs sind Vertreter der Chöre, die gefördert werden.
Ud Joffe appelliert für eine fachliche Diskussion. „Die Regeln sind eigentlich in Ordnung, aber wir sind offen für einen Dialog mit dem Kulturausschuss“, so Joffe. Fachbereichsleiterin Birgit Katharine Seemann stellte in der letzten Kulturausschusssitzung bereits zwei mögliche Kandidaten für die Fachjury vor. Nikolaisaal-Chefin Andrea Palent und Moritz Puschke, Kulturunternehmer, Musiker und Geschäftsführer des Deutschen Chorverbands, haben bereits zugesagt. Eine dritte Person sei angefragt. Nach Möglichkeit soll die Jury bereits die Mittelzuweisung für das Jahr 2014 überprüfen, sagte Birgit Katharine Seemann.
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