zum Hauptinhalt

Kultur: Bleibt ritterlich!

Das Theater im Marienbad gastierte mit „Jugend ohne Gott“ beim Spurensuche-Festival

Stand:

Es dauert keine Viertelstunde, da ist das Freiburger „Theater im Marienbad“ bei seiner Kernaussage angekommen. „Ja, der Mensch dürfte wohl böse sein“, haucht Kirsten Trustaedt ins Mikro. In der Inszenierung von Dieter Kümmel spricht sie die „Innere Stimme“ des Lehrers. Der Beamte – ein Heuchler, Zweifler, Held – ist die Hauptfigur in Ödön von Horváths spätem Roman „Jugend ohne Gott“, dessen Bühnenfassung das Freiburger Theater am Freitag beim Jugendtheatertreffen „Spurensuche“ in der Reithalle A aufführte.

Mit der Aufspaltung der Figur hat die Regie eine kluge, einleuchtende Lösung für die inneren Monologe von Horváths Roman gefunden. Das Auseinanderklaffen zwischen Innen und Außen, die Zwickmühle, in der sich ein Lehrer befindet, der in Zeiten einer stetig an Macht und Rigidität gewinnenden Diktatur dennoch aufrechte Menschen erziehen will, wird so auf unmittelbare Weise greifbar. Während Trustaedt für finstere Wahrheiten wie „Die Welt ist schlecht!“ zuständig ist, beschränkt sich die Figur des Lehrers, gespielt von Christoph Müller, auf seiner Profession angemessenere Kommentare: „Du sollst doch nicht immer über den Rand schreiben“. Es gibt auch Schnittpunkte zwischen den beiden. „Bleibt immer ritterlich!“, bekommt eine Gruppe raufender Burschen mit auf den Weg.

Wie aber ritterlich sein in einer Zeit, in der Ritter vor allem als Kriegsherren (miss-)verstanden werden? Um diese Frage geht es Dieter Kümmel in der Bühnenfassung des 1937 von Horváth im Wiener Exil geschriebenen Romans. Im gleichen Jahr war Horváth die Aufenthaltserlaubnis im Deutschen Reich entzogen worden; ein Jahr später wurde er in Paris von einer herabstürzenden Platane unfreiwillig den Zwängen seiner Zeit entrissen. In seinem Text beschreibt Horváth eine Gesellschaft, deren Kälte kaum zu ertragen scheint: Ein Jugendlicher ermordet ohne Grund und Anlass, aus rein wissenschaftlicher Neugier, einen Mitschüler. Der Lehrer ahnt, wer der Täter ist und auch, dass sein Mord symptomatisch für eine neue Zeit ist – „die Zeit der Fische“. Er wird „den Fisch“ am Ende überführen. Und selbst schuldig werden.

Die Bühnenfassung von Stephan Weiland konzentriert sich auf die Krimi-Aspekte des Romans, lädt ein zum Wer-ist-der-Mörder-Raten. Auch das eine kluge Entscheidung. Der Krimi als das für Jugendliche erkennbare Vehikel, um ihnen darunter liegende, sperrige Themen nahezubringen. Rassismus, Faschismus, Zivilcourage. Und auch: Liebe, Erotik, Einsamkeit. Die Dramaturgie belässt dem Text die typischen Prosaformen, Erinnerungen und Briefe, lässt sie von seinen Darstellern in Mikrophone erzählen. Über lange Passagen ist der Abend so eher inszeniertes Hör- als traditionelles Bühnenspiel. Um so köstlicher, überraschender die lakonischen Rapp-Einlagen der HJ-Burschen im Zeltlager. Kümmel schafft es, diesen Zusammenprall der Genres nicht peinlich, sondern selbstverständlich wirken zu lassen.

In fünf winzigen nebeneinander liegenden Zellen (Bühne: Martin Baldenhofer) sitzen der Lehrer, sein Gewissen und die auf Initialen reduzierten Schüler und sprechen ihre Gedanken in Mikrophone. Meist dem Publikum zu, teils zu sich selbst, seltener auch in Dialogen zueinander. Die Zellen können durch heruntergezogene Jalousien abgeschlossen, dem Blick verborgen werden. Hier ist jeder bei sich, eine Gemeinschaft gibt es trotz Zeltlager-Kumpelei nicht. Der Sound wird live verstärkt, nicht nur von einem Techniker am Pult, sondern auch, viel interessanter, von einem waschechten Geräuschemacher, der Fußtritte, Türenknarzen und auf den Tisch geknallte Schnapsgläser hallig vertont. Das ist zugleich antiquiert, komisch und sehr nah am Zuschauer.

Gerappte Passagen, quirliger Lounge-Soundtrack und parodierte Live-Berichterstattung auf der einen, originaler, unverstellter Horváth-Text auf der anderen Seite: Kümmels Inszenierung befindet sich auch in übertragenem Sinn in der Bühnenmitte. Originalgetreue Kostüme und Sounds machen so nicht nur die 30-er Jahre erfahrbar, sondern auch unsere Distanz zu ihnen, aus der Sicht des beginnenden 3. Jahrtausends. Und das, bis auf ganz wenige Ausnahmen, ohne Zeigefinger, ohne harmonieseliges Herunterspielen der schlimmen Zeiten. Und ganz am Ende steht die Idee, dass der Mensch, bei aller Schwachheit, zwar böse sein mag, aber auch anders kann. Lena Schneider

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })