Von Antje Horn-Conrad: Bleischwer und federleicht
„33 traurige Tragödien“ des Argentiniers Miguel Rothschild im Potsdamer Kunstraum
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Im Mittelalter nannte man sie Mönchskrankheit. Große Geister waren von ihr befallen. Dichter wie Walther von der Vogelweide oder der Romantiker Nikolaus Lenau. So wie aus deren Gedichten, spricht die Melancholie auch aus den Bildern Caspar David Friedrichs oder aus den Liedern Franz Schuberts. Sie alle wählten die Kunst, um ihrer Schwermut Raum zu geben und sich selbst ein wenig davon zu befreien.
Der in Berlin lebende Argentinier Miguel Rothschild versucht seiner Melancholie mit Heiterkeit zu begegnen. In der eigens für den Potsdamer Kunstraum konzipierten Ausstellung „33 traurige Tragödien“ spielt er mit der Komik des Tragischen. Der 1963 in Buenos Aires geborene Künstler, der zunächst in seiner Heimat, später in Berlin bei Rebecca Horn studierte, erschafft aus Plastik, Pappe und Partytinnef ein paradiesisches Universum, das die Traurigkeit, wenn auch nur für einen Moment, ad absurdum führt.
Am stärksten gelingt ihm das mit seiner Installation „Melancholia A.D.“, einem aus farbigen Trinkhalmen konstruierten Nachbau des Polyeders aus Albrecht Dürers rätselhaftem Stich „Melancholia I“. Ein raumhohes, knallbuntes, wegen seiner Leichtbauweise überaus transparentes Gebilde, in dessen Geometrie sich die Blicke verfangen und immer wieder neue Sichtachsen finden. Rothschild hat die Schwere des Dürerschen Polyeders aufgebrochen und Licht ins Dunkel gebracht, ohne dessen Rätsel vollständig zu lösen. Es erscheint nur eben nicht mehr so bedrückend, sich einem schwierigen Problem zu stellen.
Andere seiner Arbeiten muten nur beim ersten Hinsehen leicht und schwerelos an, so wie das hauchzarte Mobile, an dessen durchsichtigen Fäden aus Zeitschriften ausgeschnittene Gesichter hängen. Der Verzauberung über das im Licht aufblitzende Gebilde aber folgt Ernüchterung, denn aus allen zu Boden schauenden Minen spricht Trauer, Angst und Schmerz. Ähnlich schockierend wirkt eine harmlos von der Decke herabhängende Girlande, in deren Inneren man die leeren Augen aus Edvard Munchs Gemälde „Der Schrei“ entdeckt. Die Schnur der Girlande zieht sich in jedem der Segmente durch den aufgerissenen Mund des angstverzerrten Gesichts. Das Unglück vervielfacht sich wie bei einem „Echo“, so der Titel dieser Arbeit.
Gleich daneben „sprudelt“ ein aus roten Trinkhalmen installierter Springbrunnen, in dem kleine Figuren zu tanzen scheinen. Es sind allesamt Bildnisse des von Pfeilen getroffenen Körpers des Heiligen Sebastian, durch dessen Wunden sich hier die Halme bohren. Eine Fontäne aus Blut, die nicht in die Höhe schießt, sondern zu Boden zieht, wie auch die „33 traurigen Tragödien“. Für diese Arbeit hat Rothschild 33 traurige Gesichter aus Gemälden aller Kunstepochen nebeneinander gehängt und deren Tränen sichtbar gemacht. Bleiern schwer hängen sie an dünnen Schnüren, die von den Augen bis auf die Erde reichen.
Eher zum Schmunzeln ist die Collage hunderter Hau-Drauf-Szenen aus Comic-Strips. Lauter Tragödien, über die wir herzhaft lachen können. Auch der kunstvoll aus Einzelbildern zusammengesetzte Videofilm, der in der Ausstellung gezeigt wird, ist eine echte Tragikomödie. Rothschild erzählt darin von einem romantisch sinnsuchenden Künstler, der seinen etwas bodenständigeren Galeristen zu vergiften versucht und sich dabei selbst in eine Welt zwischen Himmel und Hölle katapultiert.
Eine Winzigkeit dieser heiter-ironischen Sichtweise kann man sich aus der Ausstellung mit nach Hause nehmen: In eine Nische hat Rothschild eine Kopie von Yves Kleins spektakulärem „Sprung in die Leere“ gehängt. Direkt unter dem Foto steht ein Podest mit einer Zettelbox und einer kleinen Stanze. Wer möchte, kann hier aus farbigem Papier einen kleinen Yves Klein stanzen und ins Leere stürzen lassen. Hoffnungsfrohere, nicht ganz der Melancholie verfallene Menschen, werden den kleinen Yves wahrscheinlich während des Fluges auffangen und in die Tasche stecken. Wie gut, dass es immer auch Optimisten gibt.
Kunstraum Schiffbauergasse, bis 7. Dezember, Mi-Fr 14-20 Uhr, Sa/So 12-20 Uhr.
Antje Horn-Conrad
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