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Spiel im Spiel. Andrea Thelemann ist als gestandene Theaterfrau und zugleich als Haushälterin Dotty zu sehen.

©  HOT/HL Böhme

Kultur: Blick ins Tollhaus

„Nackter Wahnsinn“ am Hans Otto Theater und Andrea Thelemann, Frau des Intendanten, mischt mit

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Sie ist stolze 1,80 Meter groß, über 50 und zudem Gattin eines Intendanten, der auf der Hut vor familiärer Bevorteilung ist. Nicht gerade die besten Bedingungen, um die ganz großen Rollen zu bekommen, sagt Schauspielerin Andrea Thelemann. In der Komödie „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn, in der sie ab morgigen Freitag am Hans Otto Theater eine erfahrene Theaterfrau und zugleich die Haushälterin Dotty spielt, geht es genau um solche persönlichen Befindlichkeiten.

Was passiert, wenn der Premierentermin zu platzen droht, sich alle nur noch nervös anschreien, Neid, Eifersucht, persönlicher Hass eskalieren? Schauspieler verpassen ihre Stichwörter, vertauschen Requisiten. Das reinste Tollhaus. Und das darf der Zuschauer mit voyeuristisch gewolltem Blick nun betreten: in einer unterhaltsamen Nabelschau der Diven, Alkoholiker, Nervensägen, Beleidigten. Der Theaterwahnsinn, von dem der Besucher normalerweise nichts mitbekommt, wird nackt zur Schau gestellt.

Sieht es wirklich so schlimm hinter den Kulissen aus, wie es der englische Autor hier bei einem Spiel im Spiel vorführt? „Natürlich ist vieles zugespitzt, wie es sich für eine Komödie gehört. Aber es ist auch viel Wahres dran. Als ich am Dresdner Staatsschauspiel engagiert war, wurde erzählt, dass eine Schauspielerin der anderen aus Neid Glasscherben in die Schminke gemischt hat. Persönlich war ich dabei, wie eine Kollegin einer anderen aus Eifersucht eine klatschte“, plaudert die gebürtige Erfurterin vorsichtig aus dem Nähkästchen. Natürlich gibt sie als ohnehin beargwöhnte Frau von Tobias Wellemeyer nicht zu viel auf dem Marktplatz der Gefühle preis.

Sie findet es schon schwierig genug, wenn sie in der Regie ihres eigenes Mannes arbeitet. „Man kennt sich so gut und muss dennoch Abstand halten, darf auf den Proben keine persönlichen Dinge austragen.“ Aber es habe auch Vorteile: „Wenn ich zu Hause noch mal etwas beschreibe, tut mein Mann es nicht ab. Umgekehrt kann er mir Dinge besser aus seinem Blickwinkel erklären.“ Und so ließen sich gemeinsam auch sehr schöne Sachen erreichen. Andrea Thelemann erinnert sich vor allem an die Inszenierung von Schnitzlers „Das weite Land“ in Dresden.

Nun spielt sie in „Der nackte Wahnsinn“ in der Regie von Andreas Rehschuh eine hartgesottene Theaterfrau, die, wie alle anderen, hinter aufgesetzter Fassade hochempfindlich ist. Eine erfahrene Person, ähnlich wie sie. Andrea Theleman beschreibt sich selbst als stark und temperamentvoll, als jemand, der sich durchsetzen kann. „Ich sage immer: Man kann nur scheitern. Um so besser, wenn es dann nicht so ist.“

Im kommenden Jahr feiert die 52-Jährige ihr 30. Bühnenjubiläum. Doch die mondäne Frau mit dem halblangen kastanienbraunen Haar kennt das Theater bereits, seit sie laufen kann. Die Eltern arbeiteten als Maskenbildnerin und Opernsänger am Theater Erfurt. Als die Mutter früh starb, nahm der Vater die kleine Tochter noch öfter mit auf die Probe. Dort wurde sie vom Schoß der Inspizientin auf den der Ankleiderin weitergereicht. Mit drei Jahren versuchte sie sich bereits an den ersten Mozart-Arien. Und wollte natürlich Opernsängerin werden. Es wurde der Jazzgesang, mit dem sie schließlich durch die damalige DDR tingelte. Ohne Auto und Telefon. Sie schrubbte mitunter selbst die Bühne, schminkte sich auf zugigen Klos und feierte mit ihrer Band Erfolge. Wenn das Geld nicht reichte, ging sie kellnern. 1984 bekam die Sängerin von der Stadt Leipzig einen Fördervertrag für kostenlosen Schauspielunterricht.  Irgendwann waren es dann literarisch-musikalische Programme, mit denen sie in ihrer freien Gruppe „statt-Theater-Fassungslos“ herumreiste. Ihren preisgekrönten Ernst-Jandl-Abend zeigten sie an die 300 Mal. „Alles lief wie geschmiert“, erinnert sich Andrea Thelemann, obwohl sie auch nicht vergessen hat, wie oft sie sich in ihrem fahrenden Unternehmen gegenseitig auf die Nerven gingen, eben den „nackten Wahnsinn“ spürten. „Schon morgens im Bus wollte man die Leute nicht mehr sehen und gab sich doch Mühe, es gemeinsam auszuhalten. Denn nichts ist schöner, als abends vor den Vorhang zu treten. So wie es die Fayn-Komödie auch zeigt.“ Das Leben auf der Straße wurde für Andrea Thelemann nicht einfacher, als die Tochter zur Welt kam. Oft betreute zwar auch Tobias Wellemeyer das geistig behinderte Mädchen.

1994 kam dann die Anfrage vom Oberspielleiter des Staatsschauspiels Dresden, ob sie nicht eine Rolle in dem Stück „Hühnerköpfe“ über gewalttätige Jugendliche übernehmen möchte. Eine richtige Figur erarbeiten, nicht nur die kleine kabarettistische Form bedienen, das fühlte sich gut an. Andrea Thelemann bekam weitere Rollen, schließlich ein Festengagement. „Ich feierte schöne Erfolge.“ Bis der Intendantenwechsel kam und sie 41-jährig nun zwangsweise freiberuflich wurde. „Mir rutschte der Boden unter den Füßen weg. Ich hatte keinen Manager mehr. Und mich allein zu verkaufen, gelang mir nicht.“ Sie sei groß und präsent, „da ist es nicht einfach, einen passenden Bühnenpartner zu finden“. Hinzu komme das Alter. „Als Frau ist man am Theater schon mit 40 alt.“

Dennoch blieb sie in Dresden, als ihr Mann nach Magdeburg ging. Sie wollte ihren eigenen Weg verfolgen und auch die Tochter auf der Heilpädagogischen Schule belassen. Nach über 80 fehlgeschlagenen Bewerbungen folgte sie ihm drei Jahre später dann doch und übernahm unter seiner Intendanz Gastrollen.

Um sie in Potsdam fest zu engagieren, sei ihr Mann schon über seinen Schatten gesprungen. „Deswegen übe ich mich aber nicht in Dankbarkeit. Ich muss ohnehin eher zurückstecken, als dass ich bevorzugt werde. Was zählt, sind am Ende ohnehin die Leistungen.“

Premiere am Freitag, dem 3. Februar, 19.30 Uhr, Neues Theater, Schiffbauergasse

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