Kultur: Blick über den Gartenzaun Stefan Roloffs zeigt in „Eins + Eins“ deutsche Geschichte
Auf den ersten Blick sieht man eine kleinbürgerliche Idylle mit Fachwerkhaus und weißem Zaun vor grünem Rasen. Doch die vierzehn Gartenzwerge davor wirken seltsam: aus ihren Zipfelmützen leuchten Scheinwerfer, in der einen Hand steckt ein Knüppel, die andere ist zur Faust geballt.
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Auf den ersten Blick sieht man eine kleinbürgerliche Idylle mit Fachwerkhaus und weißem Zaun vor grünem Rasen. Doch die vierzehn Gartenzwerge davor wirken seltsam: aus ihren Zipfelmützen leuchten Scheinwerfer, in der einen Hand steckt ein Knüppel, die andere ist zur Faust geballt. Das märchenhaft scheinende Ambiente der Installation „Eins + Eins“ von Stefan Roloff erhält eine bedrohliche Note. Im Fachwerkhaus verstärken sich die Irritationen. Der düstere Raum ist voll gestopft mit Möbeln, Bildern und Nippes. Ein röhrender Hirsch, das Sinnbild deutscher Wohnzimmergemütlichkeit, eine Barbiepuppe und ein Räuchermännchen verweisen auf deutsche Gemeinsamkeiten und Differenzen. Und der Blick aus den Fenstern zeigt keinen wohlgeordneten Vorgarten, sondern Filmaufnahmen von der Berliner Mauer. Im Jahr 1980 filmte Stefan Roloff, damals Meisterschüler der Freien Malerei an der Hochschule der Bildenden Künste in Berlin (West), drei Wochen lang die steinerne Trennungslinie zwischen den beiden deutschen Staaten. Ihn interessierte dabei besonders das alltägliche Tun der Grenzsoldaten. Seine Aufnahmen zeigen die Wächter in unspektakulären Situationen, etwa beim Herumwandern, Laufen und Fegen. Die scheinbare Normalität ihres Tuns verstärkte für Roloff den Eindruck der Absurdität dieses Bauwerks. Welchen Sinn hatte das misstrauische, tödliche Beobachten und Überwachen? Roloff setzte auf Gegenbeobachtung und richtete mit Freunden am Grenzübergang Bernauer Straße einen vier Meter hohen Wachturm auf, in dem zwei Puppen als Grenzsoldaten kostümiert mit einem Suchscheinwerfer saßen. Nach nur 20 Minuten rückte die Westberliner Polizei an und auch auf der Ostseite begann rege Betriebsamkeit mit Fotoapparaten und Hunden. Bei einer späteren Durchsuchung wurden die grauen Mäntel mit Blindenzeichen auf dem Rücken und die Mützen von der Polizei konfisziert. Die kreisförmig gehängten Großfotografien dieser spektakulären Aktion bilden unter dem Titel „Fopos in the East and Fopos in the West“ den zweiten Teil von Roloffs Installation. „Es geht mir nicht um eine Aufarbeitung von DDR-Geschichte,“ sagt Stefan Roloff, der seit dem Abschluss seines Studiums in New York lebt und die Wiedervereinigung aus der Ferne erlebt hat. Zwar habe die DDR große staatliche Gewalt ausgeübt, doch er betont, dass es Beobachtung und Kontrolle genauso im Westen gegeben habe, wenn auch in anderer Form. Die Mauer ist für Roloff ein sichtbar gewordenes Symbol einer Überwachungsmaschinerie und damit ein zeitloses Phänomen, das auf der ganzen Welt vorkommt. In ähnlicher Weise symbolisiert der weiße Zaun alltägliche Abgrenzungen und Ausgrenzungen. Dass dies zum Alltag auf unserem Planeten gehört, beweist ein kurzer Blick ins Internet. Dort findet sich eine große Anzahl von Gruppen, die mit der Überwindung von Grenzen beschäftigt sind, allen voran Ärzte und Reporter. Mit seiner Installation „Eins + Eins“ liefert Stefan Roloff viele Anregungen, einmal über übliche Kategorien hinaus zu schauen und weiter zu denken als nur bis zum eigenen Gartenzaun. Bekannt wurde der 1953 in Berlin geborene Künstler zuletzt mit einem Buch und einem Dokumentarfilm über die „Rote Kapelle“. Zu dieser weitgehend missverstandenen Widerstandsbewegung gehörte auch sein verstorbener Vater, der Konzertpianist Helmut Roloff, dessen Grab auf dem Bornstedter Friedhof in Potsdam liegt. Organisiert wurde die Ausstellung „Eins + Eins“ durch Carola Stabe von der Stiftung SPI Brandenburg als Beitrag zum 15. Jahrestag der Deutschen Einheit. Babette Kaiserkern Die Ausstellung läuft vom 1. bis zum 3. Oktober immer von 10 bis 20 Uhr im Schaufenster der Fachhochschule in der Friedrich-Ebert-Str. 6.
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