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Mauerchronist. Rainer Fetting filmt sich selbst.

© promo

Kultur: Bohème im Schatten der Mauer

Innerhalb der Ausstellung „Mauerperspektiven“ wurden Filmtrailer von Rainer Fetting gezeigt

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Die Mauer war gerade mal zehn Jahre alt, als Rainer Fetting Anfang der siebziger Jahre nach Berlin zog, um an der damaligen Hochschule für Künste zu studieren. Heute steht eine von ihm geschaffene 3,40 Meter hohe Bronze-Skulptur von Willy Brandt im Atrium der SPD-Zentrale in Berlin. Auch Altkanzler Helmut Schmidt wurde von ihm in Bronze verewigt. Als jedoch Gerhard Schröder ebenfalls um ein Porträt von Fetting warb, lehnte dieser ab, der Legende nach mit den Worten, er sei doch kein Staatskünstler. Fetting ist keiner, der Auftragskunst zu Propagandazwecken herstellt. Er fasst Malerei und Skulptur, ganz altmodisch, als Ergebnis eines individuellen künstlerischen Schaffensprozesses auf. Dass dabei die Freiheit des Denkens und des Handelns zur Bedingung wird, ist sonnenklar. Ebenso wie der Umstand, dass eine willkürliche Grenze wie die Berliner Mauer in diesem Kontext als höchst befremdliches Gebilde wirken kann. So erscheint sie in zahllosen Gemälden von Fetting, der inzwischen als malerischer Chronist der Mauer gilt.

Am symbolhaften Ort deutscher Teilung, in der Villa Schöningen an der Glienicker Brücke, wurden am Donnerstagabend im Rahmen der Sonderveranstaltung „Mauerperspektiven“ drei Film-Trailer aus den Anfängen von Rainer Fetting in Gegenwart des Künstlers gezeigt. Zwei davon waren Uraufführungen. Die teilweise neu montierten und musikalisch unterlegten Super8-Streifen umfassen die Zeitspanne von 1977 bis 1982, als Fetting Mitbegründer und Protagonist der Galerie am Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg war.

Wie eine Reihe kleiner, privater Videoclips wirken die Trailer, schnell folgt eine Szene auf die nächste, gern bewusst dilettantisch gehalten, dann wieder prangend in erlesenen Farbspielen und gesuchten Perspektiven, stets untermalt von der Musik jener Zeit. Die reicht vom unvergesslichen „Sunday Morning“ aus dem Debütalbum der Velvet Underground über Rio Reisers herb-authentischen Gesang bis zu einem frühen Auftritt von Police in New York. Dazu sieht man beispielsweise, wie Rainer Fetting im karibischen Kostüm und mit Van-Gogh-Hut an der Mauer entlang rennt und radelt. Salomé, der damalige Lebensgefährten von Fetting, lockt mit unvergleichlich schillernd-lasziver Aura. Es gibt Atelierfeste und Malorgien, überall wird geraucht, getrunken und palavert, auch in den einschlägigen Lokalen wie dem „Exil“ und dem „Dschungel“. Zu sehen ist Bohème im Schatten der Mauer, stark stilisiert und gestisch verdichtet. Vergleiche zum expressiven Malstil der Neuen Wilden drängen sich auf. Die monströse Realität der Mauer wird künstlerisch usurpiert und ansonsten ein wildes Fest des Lebens und der Kunst gefeiert.

Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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