zum Hauptinhalt

Von Heidi Jäger: Breakdancer tanzen ein Pas de deux

Ballett meets HipHop: Der „Spaß am Tanz“-Verein zeigt im HOT sein neues Stück „Cross the Line“

Stand:

Es begann mit einem Walzer. Hawk, der damals noch Ralf Habicht hieß, schlich sich im Schlafanzug in den Saal. Dort schwoften seine Großeltern im schönsten Urlaubsfeeling. Und natürlich wollte auch er dabei sein. Um den kleinen Unruhegeist zu besänftigen, nahm Oma den neunjährigen Enkel in den Arm und drehte ihn im Dreivierteltakt.

Inzwischen ist aus dem schwebenden „Nachtfalter“ der coole B-Boy geworden, wie sich die Breakdancer untereinander nennen, der statt zu Johann Strauss lieber zu harten HipHop-Beats auf Kopf, Armen, Rücken oder Händen kreiselt. Aber auch nicht die Nase rümpft, wenn er auf „brave Zweifüßler“ schaut. Bei „Cross the Line. Ballett meets HipHop“, dem neuen Stück der Potsdamer Choreografin Marita Erxleben, das am Samstag im Hans Otto Theater Premiere hat, werden alle Mitwirkenden ihre Grenzen übertreten. Balletttänzer bewegen sich zu hartem Rock, Breakdancer wirbeln Tänzer mit Spitzenschuhen in die Höhe und tanzen sogar ein Pas de deux.

Doch Halt! Micky lässt sich da nicht vereinnahmen. „Du bist in dem Stück der Streber“, unterbricht er Hawk beim gemeinsamen Vorgespräch über ihren Auftritt bei „Cross the Line“. Micky kämpft indes auf der Bühne um seinen besten Kumpel Hawk, der plötzlich dem Breakdance untreu werden will und mit einem Mädel Pirouetten dreht, statt im Freestyle den Körper zu puschen. „Ein Breaker muss sich schon verbiegen für dieses Stück, das sich in eine Richtung öffnet, die teilweise konträr zu uns ist. Eine Frau in den Arm nehmen und verliebt spielen, ist eine andere Welt.“ Und weil Micky in diesem tänzerischen Kampf befürchtet, dass sein Freund Hawk die Loyalität zu seiner Herkunft verliert, prallen in „Cross the line“ Welten aufeinander. „Und das kann man durchaus wörtlich nehmen“, sagt Micky und streckt drohend seine Faust in Richtung Hawk. Posen gehört zum Breakdancer eben dazu.

Auch im wahren Leben sind die beiden befreundet, selbst wenn sie eine ganze Breakdance-Generation trennt. „Durch Leute wie Hawk wurde ich geprägt, sie waren für mich Superstars“, sagt der 29-jährige Micky, alias Axel Schiffler. Er lernte sein Idol auf einer der zahlreichen Jams kennen, die zum HipHop-Leben einfach dazugehören. Micky kam 2000 aus Zittau nach Berlin. Da sich im Handwerk kein Job finden ließ, freute er sich über Hawks Angebote, für ihn Kurse geben zu können. „Er war oft mein rettender Anker.“ Und bald gehörte Micky zur Family von Hawks achtköpfiger Gruppe „Fresh in Attack“ dazu, eine der ältesten aktiven HipHop-Crews. „HipHop ist mehr als Breakdance. Es ist eine Lebensphilosophie, die auf positives Denken setzt und Ausdruck der Persönlichkeit ist, einschließlich Graffiti, Rap, DJs und natürlich des Zusammengehörigkeitsgefühls“, sagt der 39-jährige Hawk.

Hawk war 14, als er von diesem Virus infiziert wurde. Nachdem er den Film „Beatstreet“ gesehen hatte, eilte er flugs auf den zugefrorenen Teich im heimatlichen Langburkersdorf und probierte dort stundenlang den sogenannten Backspin, bei dem er versuchte, sich auf den Schulterblättern zu drehen, bis der Rücken schmerzte. Im Kulturhaus Pirna stand er dann mit anderen auf der Bühne, lernte Präsenz, mischte immer stärker mit und brachte es mehrfach zu Meisterehren, wie 1996 zum Europameister der „Vlinken Vüße“. Und alles war hart erarbeitet. „Man fällt oft auf die Fresse“, sagt Hawk. Für das Windmill, ein Drehen auf den Schultern, nahm er monatelang blaue Schultern in Kauf, bloß weil er es so cool machen wollte, wie er es auf einem Foto gesehen hatte. „Zwei Jahre arbeitete ich daran.“

Hawk zog 1993 nach Berlin, als es zu Hause keine Arbeit mehr für den Maschinenbauer gab. Er wusste genau, dass er nun mit Tanz sein Geld verdienen will. Der in der Szene angesagte Kai Eikermann führte ihn ein und bald tanzte Hawk auf allen Sälen quer durch die Stadtbezirke. Aus dem Tänzer wurde ein Trainer und schließlich der Choreograf eigener Shows, mit denen er in Varietés auftrat. „Man engagierte uns aber auch für übergreifende Projekte, wie ,Faust’ in der Deutschen Oper oder ,Woyzeck’ an der Schaubühne.“

Irgendwann kam der Anruf von Marita Erxleben aus Potsdam, ob Hawk nicht auch Kurse in Potsdam leiten würde. Er wollte nicht, ließ sich aber irgendwann doch überzeugen. Heute ist er froh, an der Seite „dieser tollen Pädagogin, die einen riesigen Ameisenhaufen von Kindern zu lenken und zu begeistern versteht“, arbeiten zu können.

Mit seinen 39 Jahren gehört Hawk in der Breakdance-Szene zum alten Eisen. „Er ist eher ein Ausnahmebreaker. Es gibt nicht viele, die noch so im Saft stehen“, sagt Micky. Seit zehn Jahren folgt er seinem „Meister“, übernimmt dessen Kurse, wenn Hawk mal wieder tourt. Ja selbst für den bösen Tybalt in „Romeo und Julia“ tanzte er den „Ersatz“ und überzeugte. Nun ist Micky von Anfang an in der neuen Produktion von Marita Erxleben dabei. „Sie hat wohl gesehen, wie ich arbeite und dass ich ein umgänglicher Typ bin.“ Und wohl auch, dass er zuverlässig ist, was in der Szene nicht gang und gäbe sei. „Deshalb kann auch nicht jeder krass gute Tänzer davon leben. Mickys Zuverlässigkeit war es, die uns oft den Arsch rettete“, lobt Hawk den Freund.

Hawk selbst merkt inzwischen seine körperlichen Grenzen, braucht länger, um Verletzungen auszukurieren. „Das normale Leben trifft auch einen Breakdancer. Es war vielleicht mein Glück, dass ich nie der Krasseste war. Das Krasse macht kaputt.“ Was für ihn zählt, ist eine gute Show und akrobatische Einzelleistungen mit der ganz eigenen Stilistik. Und da kann er vor allem mit seinen Headspins – den schnellen Drehungen auf dem Kopf – punkten. „Heute ist alles viel leistungsorientierter, geht es mehr ums Battle als um den Spaß. Das Miteinander ist ein bisschen verloren gegangen.“ Nicht so bei Marita Erxleben, wo Hawk inzwischen beim „Spaß am Tanz“-Verein im fünften Stück dabei ist. „Sie schätzt meine Fähigkeiten. Bei ,Cross the line’ konnte ich zu ihren Bildern immer auch meine Ideen einbringen, wie die vom Schulalltag, der sich im Stück spiegelt.“

Hawk und Micky bewundern die Choreografin für ihren Mut, erstmals moderne Musik zu verwenden: Rock, Crossover, Soul, Pop und Musical, „echt krasse Muggen. Ich glaube, so etwas hat es in Potsdam noch nicht gegeben. Da tanzen Ballettmädchen auf Spitzen zu Linkin Park, und Micky und ich ein Pas de deux. Am Ende entwickelt man Achtung für das Anderssein und entdeckt gemeinsam etwas Großes“, so Hawk.

Da hat Micky, der Spezialist im Footwork, der aus dem Stand auch auf dem grauen Teppich der PNN-Redaktion auf allen Vieren schwindelerregend „rotiert“, natürlich noch immer seine Zweifel. Auf Coolness kann ein echter HipHopper nun mal nicht verzichten. Auch Hawk nicht. Selbst wenn er irgendwann nicht mehr über den Boden rutscht, hat er sich schon in sein nächstes HipHopper-Leben hineingenäht: mit „Hawks Headspincaps“, rutschfest und natürlich cool. Und so bleibt er B-Boy, der schlechte Junge, der beim Tanzen austickt. Und sei es irgendwann mal wieder beim Walzer.

Premiere am Samstag 19.30 Uhr, Hans Otto Theater, Schiffbauergasse. Karten zu 12, erm. 8 Euro unter Tel.: (0331) 98 11 8

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })