
© Joachim Liebe
Kultur: Brosamen der Romantik
Das KunstHaus Potsdam zeigt Arbeiten von 24 Wiepersdorf-Stipendiaten. Eine Werkschau von zart bis nüchtern, mächtig bis witzig
Stand:
„Brötchen-Morphe“ steht auf dem Karton. Dieter Froelich hat sie aus Hannover geschickt. Ein gutes Dutzend kleine, aus dem weichen Inneren der Brötchen geknetete Teiggebilde, getrocknet und vergoldet. Es ist nicht ganz leicht, sich einen erwachsenen Mann am Frühstückstisch vorzustellen, der Lebensmittel zerkrümelt. Aber so muss es gewesen sein in Schloss Wiepersdorf, wo sich Froelich, Konzept-Künstler aus Hannover, für ein Arbeitsstipendium aufhielt. Jetzt gehört er zu den 24 ehemaligen Wiepersdorfern, die im Potsdamer KunstHaus ausstellen. Der Anlass: zehn Jahre Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf in Trägerschaft der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Sämtliche Arbeiten sollen einen Bezug herstellen zum Ort, zu Schloss und Dorf, dem Abgeschieden-Sein, dem Sein nur mit sich selbst.
Wiepersdorf liegt am Ende der Welt. Mitten im Fläming, wo die Ruhe wohnt. Auch Ludwig Achim und Bettina, das Dichterpaar der Romantik, schätzten die Einsamkeit. Schon zu DDR-Zeiten war das wild-romantische, leicht verlotterte Schloss-Park-Ensemble Arbeitsort für Kreative. Dabei blieb es. Wer hierherkommt, wird bekocht, muss sich nur um seine Arbeit kümmern, findet Austausch mit Kollegen. 30 bis 40 Künstler residieren hier jedes Jahr.
Außer dem Schloss ist hier nicht viel. Das kleine Dort, Reste von Landwirtschaft. Uwe Klos war 2010 in Wiepersdorf und hat seinen Aufenthalt fotografisch festgehalten, wie ein Tagebuch. Nüchterne Häuser, weite, mächtige Himmel, Selbstporträt beim Frühstück, Köchinnen, Kolleginnen, die Dorfkatze.
Auch der Potsdamer Joachim Liebe hat in Wiepersdorf fotografiert. „Friseurin Erika“ heißt die Bilderserie. Erika steht im Kittel hinter einer Kundin. Der Salon sieht aus wie früher, Plastikhaken für Handtücher und Umhänge, die Trockenhaube im Spiegel – so alt wie Erikas Kittel. Erika sieht aus, als könnte man Spaß haben mit ihr, in ihrem Gesicht vermischen sich Runzeln mit Lachfalten. Die weichen, leicht aufgeschwemmten Hände legen eine Dauerwelle. Jede Woche kam sie zweimal ins Dorf, heißt es, aber das war 2014 und ist schon wieder Geschichte. Wie das Stahlskelett der Eisenbahnbrücke über die Schwarze Elster. Boris Becker, Fotograf aus Köln, hat es gefunden und frontal draufgehalten, ein Großformat mit offenen Fragen: Fährt hier noch was?
Den Blick nach innen, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Arbeiten unter diesen speziellen Bedingungen, zeigen die Holzschnitte von Franca Bartholomäi. Die klassische Technik lässt an Albrecht Dürer als auch die 1950er-Jahre denken. Im KunstHaus zeigt die Malerin und Grafikerin aus Halle eine Draufsicht wie aus der Perspektive einer Drohne, von schräg oben in die Werkstatt hinein. Am Tisch steht sie selbst und arbeitet. Ein zweites Bild zeigt Tiere, Hunde, die Dorfkatze. Wartend, schauend. Ohne Ziel, einfach da-seiend und dabei irgendwie würdevoll.
Göran Gnaudschun macht gern das Unsichtbare sichtbar. Die kleinen Pflanzen, über die man tagsüber im Hellen trampeln würde, hat er nachts ausgeleuchtet – wie ertappt reflektieren sie farbig, drumherum Dunkelheit. Die Dunkelheit an der Grenze zwischen Nachtstarre und dem Übergang zum ersten Blauton des Tagesbeginns hat Sabine Sauermilch aufgegriffen. Die Grafikerin aus Erfurt hat das Blau komplett in ein Bild gegossen. Die Gegenüberstellung ist gemalt, die Tinte zerlaufen, zusammengedrückt, fleckig – sodass etwas entstanden ist, was man als Blaue Blume der Romantik deuten kann. Die Feuchte der Farbe hat das hauchdünne Papier sich zusammenziehen lassen, in feinen Wellen liegt das Weiße unter Glas.
Neun mal neun Meter groß, fast genauso hoch, ist der Ausstellungsraum im Ulanenweg, der früher Pferdelazarett war. Die Ausstellung zeigt nur Ausschnitte, die mit Wiepersdorf zu tun haben, mehr geht nicht. Ein Mosaik mit Malerei und Fotografie, Skulpturen und auch manch seltsamem Produkt. Gurkenlimo zum Beispiel. Vielleicht damit die Brötchen-Krumen besser rutschen oder einfach nur, weil er die viel gerühmte Gurke des nahen Spreewalds verarbeiten wollte, hat Dieter Froelich während seines Aufenthalts Gurkenlimo hergestellt. Auch Kunst. Steffi Pyanoe
Vernissage mit Vokalperformance von Alex Nowitz am Sonntag, 5. Juni, um 16 Uhr, Ulanenweg 9, zu sehen bis 17. Juli. Begleitveranstaltungen siehe www.kunstverein-kunsthaus-potsdam.de
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