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Kultur: Bücherschwund – Besucherschwund

Stadt- und Landesbibliothek hat Angst auszubluten / Kulturausschuss für geringere Kürzungen

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Stadt- und Landesbibliothek hat Angst auszubluten / Kulturausschuss für geringere Kürzungen Eigentlich ist sie in den besten Jahren. Schließlich steht sie erst kurz vor ihrem 30. Geburtstag. Dennoch gebricht es ihr an allen Ecken und Enden. Nicht nur das äußere Antlitz bröckelt, auch im Inneren zwickt und zwackt es. Nun scheint sogar das Herz in Gefahr. „Die Bibliothek blutet aus!“, so die klare Diagnose von Marion Mattekat. Die Direktorin des Stadt- und Landesbibliothek (SLB) hatte am Donnerstagabend den Kulturausschuss zu Gast. Der Anlass war eher unerfreulich: Innerhalb des Haushaltssicherungskonzepts soll die Einrichtung im kommenden Jahr 347000 Euro weniger erhalten, und 2006/2007 ist eine weitere Reduzierung vorgesehen. Für Investitionen ist überhaupt kein Euro eingestellt. Damit würde sich die Zuschuss-Summe um 24 Prozent innerhalb von zwei Jahren reduzieren. „Das bedeutet Kahlschlag!“ Die Direktorin führte achtungsgebietende Vergleiche ins Feld: Läge Potsdam in Finnland hätte die SBL einen Medienetat von 4,50 Euro/Einwohner. Im märkischen Sand sind es stattdessen 0,84 Euro/Einwohner. Damit liege Potsdam auch deutlich unter dem bundesdeutschen Durchschnitt von 1,20. Die Auswirkungen eines solchen Finanz-Korsetts folgen auf den Fuß: Im ersten Halbjahr 2004 gingen die Entleihungen um insgesamt neun Prozent zurück, bei der Sachliteratur sogar um 12 Prozent. Besorgniserregend auch der Besucherschwund von immerhin acht Prozent. Zahlen, die eine klare Sprache sprechen. Denn fehle die aktuelle Literatur, leide auch die Attraktivität, weiß Marion Mattekat nur zu gut. Bei Belletristik hat die Bibliothek schon zu einer Notmaßnahme gegriffen und einen Bestseller-Service eingeführt. Für einen Obulus von ein bis zwei Euro können sich nunmehr die neuesten Romane und DVD ausgeliehen werden. 6000 Euro flossen so in die Kasse, die sofort wieder in neue Literatur umgemünzt werden. Doch das verbessere die Sachbuch-Situation keineswegs und gerade dieser Bereich sei mit 42 Prozent das größte Tortenstück der Ausleihwünsche. Hinzu käme das große Problem der EDV. Da die Investitionen bereits jetzt auf Null heruntergefahren sind, und dies offenbar auch so bleiben soll, besteht die Gefahr der Veralterung und sogar Verschrottung. Marion Mattekat machte ihre eigene Rechnung auf: Dringend notwendig seien allein 158 000 Euro, um u.a. die EDV instand zu halten und zu erneuern, eine Selbstverbuchungsanlage aufzubauen (auch um den Mitarbeiterabbau abzufangen) und eine neue Bibliothekssoftware anzuschaffen. Würden statt der geplanten 347 000 Euro „nur“ 108 800 Euro – also etwa ein Drittel – einzusparen sein, könnte zumindest das Dienstleistungsspektrum aufrecht erhalten werden. Folgt der Kämmerer dieser Logik nicht, drohe wöchentlich ein Schließtag in der Hauptbibliothek, eine weitere Einschränkung des Beratungsangebotes, weitere Standortreduzierungen und ein unzureichendes Medienangebot – damit ein Qualitätsverlust für 344 000 Besucher. Bei den Ausschussmitgliedern rannte Marion Mattekat mit ihren Ängsten offene Türen ein. Alle Fraktionsvertreter zeigten Verständnis und stärkten mit einem Beschluss den Rücken der Bibliothekarin und auch der Kulturbeigeordneten, die nunmehr dem Kämmerer rechtzeitig eine klare „Ansage“ machen solle. Dem Antrag der PDS, sich hinter die von Marion Mattekat vorgeschlagene schlüssige Einsparungssumme zu stellen, folgten die Ausschussmitglieder aus deshalb, weil die SBL bereits in den vergangenen Jahren einen deutlichen Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts geleistet habe. Nicht vom Tisch ist auch das Thema Bibliothek am Kirchsteigfeld. „Das Konzept ist zwar stimmig, aber es geht nicht auf. Wir haben dort einen Besucherrückgang von 25 Prozent.“ Einen Grund sieht Marion Mattekat in der hohen Fluktuation. „Es ist ein wenig gewachsener Stadtteil.“ Für sie wäre es akzeptabel, diese Zweigstelle aufzugeben, zumal am benachbarten Stern eine gute Alternative vorhanden sei. Allein 75 000 Euro Miete könnten dort eingespart werden. „Aber da der Vertrag auf 30 Jahre unterschrieben ist, kommen wir da nicht raus. Dies ist nicht von uns zu verantworten, demzufolge sollten auch andere Geschäftsbereiche der Stadt nach neuen Nutzungsideen suchen“, sagte Kulturbeigeordnete Gabriele Fischer. Sie warf aber auch ein, dass das bei der schwierigen Architektur kein leichtes Unterfangen werden würde. Es mache allerdings auch wenig Sinn, die Bibliothek zu schließen, wenn weiterhin die Miete gezahlt werden müsse, gab der Ausschuss zu bedenken. Wenn es am 15. Oktober heißt: „Unser Haus wird 30 – Zeit für Veränderung“ wäre sicher das schönste Geschenk eine große Konserve „Blut“. Schließlich gehört die Bibliothek zu den wichtigsten kulturellen Lebensadern der Stadt.Heidi Jäger

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