Kultur: Buhlen, schnurren, beißen
Zehn Tage „Sperlfilm“: Ab 4. Mai kommen Skulpturen und Objekte von Rainer Sperl ins Filmmuseum
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Er hat sich bereits etwas abgekühlt. Dennoch zeigt seine Hose eine vielsagende Beule. Dabei steht Charlie Chaplin bei 200 Grad noch allein im Brennofen – getrennt von seinem Rotkäppchen, das ihm , allmählich austrocknend, unter einer blauen Plastiktüte entgegen träumt. Spätestens zur Ausstellungseröffnung am 4. Mai werden beide im Filmmuseum vereint sein: der kleine Tramp mit dem großen Herzen und das vollbusige, auf ihn kokett herabschauende rotkäppige Mädchen.
In der Werkstatt von Rainer Sperl laufen derzeit die verschiedensten Szenen ab: Als Regisseur des „Sperlfilms“ geht der fantasiesprühende Bildhauer allerlei Ideen nach. Spätestens in zwei Wochen werden sie zum Director“s Cut, also ungeschnitten, verschmolzen sein. Die Zeit läuft, und die schlaflosen Nächte nehmen zu. Die nimmt der hintersinnig-fabulierende Querdenker indes gern in Kauf. Schließlich bekommt man nicht allzu oft die Möglichkeit, sich in einem etablierten Haus wie dem Filmmuseum präsentieren zu dürfen. Wenn auch nur für zehn Tage.
Dieses Privileg krönt Sperl mit ausschließlich für die Schau gestalteten Unikaten, die sich allesamt um den Film drehen werden. Es ist das erste Mal, dass er in dieser Größenordnung thematisch arbeitet. Fast 30 Skulpturen treiben nunmehr ihre humoresken Blüten: schnurrend, buhlend, beißend. Entstanden sind sie in einem guten drei Viertel Jahr. Da trifft Dracula auf Till Eulenspiegel, Don Quichotte auf Nautilus, der blechtrommelnde Oskar auf den Gestiefelten Kater. Sperl erzählt seine ganz eigenen Geschichten: Filmtitel und -figuren sind der „Fingerschnips“ für unverblümte, Sperl-typische Assoziationsketten. Das Motto kam dem ohnehin gedankensprühenden Sammler und „Bastler“ gerade recht: Schließlich war der Film auch die Wiege für seine ersten künstlerischen Schritte. Nach dem Innenarchitektur-Studium an der Fachschule für Angewandte Kunst in Heiligendamm sollte Rainer Sperl eigentlich Abteilungsleiter über 20 Technische Zeichnerinnen werden. „Das waren mir dann doch zwei zu viel.“ Er kniff und fand stattdessen eine Arbeit als Filmarchitekt in Babelsberg. „Wer reißt denn gleich vorm Teufel aus“ war 1977 sein erster Spielfilm, den er ausstattete. Jetzt läuft der Schlegel-Film im Mai-Wunsch-Programm des Filmmuseums. Fellinis „Amarcord“ war leider vom Verleih nicht zu kriegen, aber Sperls blinder Akkordeonspieler aus Ton mit wüster Mähne und grimmigem Gesicht erinnert an dieses ihn begeisternde Meisterwerk.
Auch „Der Blaue Engel“ darf im „Sperlfilm“ nicht fehlen: Auf einer Registrierkasse sitzend, hält die fesche Lola aufreizend den verzückten Professor Unrat an der goldenen Kette.
Ein altes mobiles Filmvorführgerät symbolisiert hingegen den „Landfilm“, bei dem sich Fuchs und Hase kuschelnd „Gute Nacht“ sagen. Filmikone Marilyn Monroe lässt ihr Kleid nicht über einen Luftschacht in die Höhe schweben, bei Sperl bringt es ein kleines, Horn blasendes Männchen zum Flattern.
Zwei Filmfacetten beleuchtet der sinnlich auftrumpfende Plastiker im polyphonen Zusammenklang: das Filmorchester Babelsberg und die Tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten. Auch bei diesen Skulpturengruppen gibt es noch einige Handschläge zu tun, um sie zur Vernissage fertig zu bekommen. Nicht alle seine Ideen schafft Sperl umzusetzen. So wird einer seiner Lieblingsfilme aus Kindertagen fehlen: das „Singende klingende Bäumchen“ bringt er nicht rechtzeitig zum Klingen, obwohl der Baum schon fertig da steht. „Halbe Sachen gibt es bei mir nicht, da setze ich mich auch nicht unter Druck.“ Ob es der bislang noch unvergoldete Oscar bis in die Ausstellung schafft, ist er sich ebenfalls noch nicht sicher – obwohl der Heiligenschein schon gedanklich über ihm schwebt.
Um neue Einfälle ist es dem Tonschöpfer nicht bange, „aber zum Inhalt gehört eben auch die richtige Form und Farbe.“ Erst wenn alles Hand in Hand geht, wird es dem Sperlschen Eigenanspruch gerecht. Auch „Rohmaterial“ hat der gebürtige Sachse in Hülle und Fülle. Drei Räume in seinem Babelsberger Weberhaus sind bis unters Dach vollgestopft: mit Schreibmaschinen, Grubenlampen, Telefonen, Orgelpfeifen – ein wildes Sammelsurium. Eine 30-jährige Objektjagd steckt darin. Und immer neue Schätze kommen dazu, auch ganz von allein. „Kürzlich brachte mir die ehemalige Chefin der Gaststätte ,Moorlake“ ihr altes Besteck. Und eine Lehrerin überließ mir eine gebrochene Zither mit feinsten Intarsien. Die wird sicher mal zur Loreley mutieren.“ Nicht immer reifen die Gedanken so spontan. Ein Bügeleisen schob er zwei Jahre lang von einer Ecke in die andere, bis es schließlich als Hahn seinen Kamm anschwellen ließ.
Die Zeit, in der der Ton seiner Figuren allmählich trocknet, nutzt er zum kreativen Luftholen. In diesen Stunden treibt er Prozesse voran oder verwirft sie. Sein Amadeus mit dem Violinen-Zopf und Nasenpiercing konnte sich vor der Kritik behaupten. Noch steht er als verpoppter Gigolo auf dem Fensterbrett. Doch ab 4. Mai wird auch er sich einreihen in die etwa 40 Meter lange Filmparade. Sperl wird versuchen, seine Helden in Szene zu setzen, wie den auf einem Garderobenständer postierten Napoleonzwerg vor einer großen politischen Weltkarte. Und auch Charlie Chaplin bekommt die entsprechende Aura, um mit seinem Rotkäppchen ganz ungeniert flirten zu können.
10 Tage Sperlfilm, Director“s Cut, ab 4. Mai, 20 Uhr, im Filmmuseum.
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