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Kultur: Bulgarische Zeiten

Das Filmgespräch zu dem bulgarischen Kinorenner „Tilt“ im Babelsberger Thalia-Kino

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Ständig ändert sie ihre Richtung, unvorhersehbar und unkontrollierbar. Nichts kann sie stoppen. Mal schneller und mal langsamer, aber in unaufhörlicher Bewegung. Die Kugel rollte unablässig, springt hin und her, wird davor bewahrt, in dem dunklen Loch zu verschwinden, das Spiel verloren zu geben. Mit aller Kraft wird der Flipperautomat angestoßen, die Kugel in Bewegung gehalten und damit das Spiel. Doch eines haben sie nicht bedacht: Wer zu stark am Flipper rüttelt, verliert. Am vergangenen Freitag stellte das Thalia-Kino den bulgarischen Film „Tilt“ vor. Der Regisseur Viktor Chouchkov Jr., sein Bruder und Drehbuchautor Borsilav Chouchkov sowie der Hauptdarsteller Yavor Baharoffund waren dazu gekommen.

„Tilt“ erzählt die Geschichte des Kleinkriminellen Stash in Bulgarien Ende der 80er-Jahre. Viel hat er nicht, doch er hat seine Freunde, den Flipper und den gemeinsamen Traum vom „Tilt“ – ihrer eigenen Bar. In einer Zeit, in der das Bild des bulgarischen Machthabers an der Wand fast täglich wechselt und die Menschen unter den Auswirkungen von Korruption und Klassenunterschieden leiden, verliebt sich Stash in Becky, die Tochter des regimetreuen Oberst Katev. Während Stash im bulgarischen Sofia mit der Polizei zu kämpfen hat, eröffnet sich mit dem Fall der Berliner Mauer eine neue Möglichkeit, dem perspektivlosen Leben zu entkommen. Als sich die politische Situation in ihrem Heimatland rapide ändert, kehrt Stash zurück. Doch nichts ist mehr, wie es vorher war und nun muss er versuchen, sein Leben, seine Liebe und seine Träume wieder zurückzuerobern.

Den Chouchkov Brothers ist mit „Tilt“ in ihrem Heimatland ein großer Erfolg gelungen. Ausgezeichnet mit vielen nationalen und auch internationalen Preisen, haben Viktor und Borislav Chouchkov, die gemeinsam das Drehbuch erarbeitet hatten, die Vergangenheit ihres Landes auf die Kinoleinwand gebracht. Während die Geschichte von Stash und Becky allein ihrer Fantasie entsprang, wurden die Charaktere anhand von Personen aus dem wahren Leben entwickelt. „Viktor hat monatelang in dieser Bar, dem wirklichen ,Tilt’, gesessen und die vielen kuriosen Menschen, die dort aufeinander getroffen sind, beobachtet“, erzählt Borislav Chouchkov.

Für die Atmosphäre und die Details ihres Filmes machten die beiden Brüder eine Reise in die Vergangenheit, in der Verzweiflung und mafiöse Machtstrukturen das Leben in Bulgarien prägten. „Die Menschen träumten damals von der Demokratie und der Freiheit, doch wusste sie gar nicht, wie das wirklich aussieht“, erinnert sich Viktor Chouchkov zurück. „Als sie es dann kennenlernten, waren sie frustriert, dass das Leben nicht so war, wie sie es sich vorgestellt hatten.“ Mit „Tilt“ wollten die Brüder das Porträt einer Zeit voller Veränderungen zeichnen. Dabei sprechen sie eine Sprache, die vor allem die Jugend versteht. Und sie verpacken die Aufarbeitung der Geschichte ihres Landes in eine Liebesgeschichte.

Für Yavor Baharoff ist die Hauptrolle in „Tilt“ die erste große Rolle in einem Spielfilm. Gerade noch mitten in den Abschlussprüfungen an der Nationalen Akademie für Theater- und Filmkunst in Sofia war es für ihn jedoch alles andere als einfach, die Dreharbeiten und seine anderweitigen Schauspielverpflichtungen unter einen Hut zu bekommen. „Der Direktor wollte uns einfach nicht frei geben“, erzählt er. Denn neben Baharoff kamen auch seine Schauspielkollegen Radina Kardzhilova, Ovanes Torosyan und Ivaylo Dragiev direkt von der Filmhochschule. Doch nicht nur eigenen Problemen hat der bulgarische Film zu kämpfen, sondern auch mit der geringen Anerkennung auf der internationalen Bühne. „Ein nicht englischsprachiger Film wird in den USA niemals gezeigt, deswegen sind wir froh, die Chance hier in Deutschland zu haben“, erklärt Borislav Chouchkov.

Das deutsche Kinopublikum sollte diesen Film auf keinen Fall verpassen. Denn „Tilt“ porträtiert ein Stück bulgarischer Historie und zeigt gleichzeitig die zarten und die rauen Seiten einer Liebesgeschichte, die zwei Menschen hin- und herwirft. Wie die Kugel eines Flippers – unkontrollierbar und unaufhaltsam.

Chantal Willers

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