Kultur: „Campen, Duschen, Wärmen“
Eröffnungsfeier der Skulpturenausstellung auf dem Alten Markt
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Die Sonne war schon untergegangen. Auf dem Alten Markt hatte sich der Festakt zur Eröffnung der Skulpturenausstellung „Translokationen – Architektur der Nomaden“ um eine Stunde verzögert. Die Besuchermenge, vielleicht 75 an der Zahl, wärmte sich am Lagerfeuer. Vorausschauend hatte Rainer Fürstenberg seine aus Baustahl wie lodernde Flammen gebogene Skulptur mit Holz bestückt und entfacht. Am Rand des Platzes, der selbst von den 15 gar nicht so kleinen Figuren der Ausstellung nicht annähernd ausgefüllt wird, wartete ein windgeschüttelter Getränkestand auf Kunden. Man blieb, – obwohl die Jubiläumsfeier des Filmmuseums und die Vernissage in der Sperl Galerie lockten – um die Festreden von Ministerin Johanna Wanka, Birgit Faber-Schmidt von „Kulturland“, Potsdams neue Fachbereichsleiterin für Kultur, Birgit-Katharine Seemann, und dem programmatisch einführenden Potsdamer Autoren Ralf Schleiff zu hören.
Die Kulturministerin verwies in ihrer Rede auf den 225. Geburtstag von Schinkel. Dieser wäre Anlass für das im ganzen Land stattfindende Programm der Initiative „Kulturland Brandenburg“ zum Thema „Baukultur“, zu dem auch dieses, so Wanka, „ungewöhnliche“ Projekt über die Architektur der Nomaden gehöre. Sie erinnerte an das Zeltzimmer im Schloss Charlottenhof, das Schinkel bereits als Gleichnis vom Unterwegssein angelegt habe. Mit dieser Ausstellung sah die Ministerin den „Nerv der Zeit“ getroffen. Denn noch nie zuvor in der Geschichte seien so viele Menschen in Bewegung.
Nein, diese Feier wäre noch nicht der offizielle Auftakt des Kulturland-Jahres, sagte Brigitte Faber-Schmidt. Der werde erst am 6. Mai in Eisenhüttenstadt begangen. Die Geschäftsführerin des Kulturland-Vereins informierte erschöpfend über die inhaltslange Programmschiene und machte auch auf in Potsdam stattfindende Projekte aufmerksam. In der Aktion „Bei Hofe“ werden Innenhöfe in der Stadt geöffnet und Hoffeste gefeiert. In der Schiffbauergasse sei man mit einer Installation namens „Lichtachsen“ beteiligt.
Birgit-Katharine Seemann vom Fachbereich Kultur dachte über den vermeintlichen Widerspruch zwischen Architektur und Bewegung nach. Architektur sei in erster Linie Statik, also „Steine und Putz“ und nicht so sehr Dynamik. Dem Begriff der Bewegung gewann Seemann nur Positives ab. Sie sprach von „echtem Nomaden-Feeling“, das die Exponate auf dem Platz vermitteln würden. „Man kann hier campen, man kann duschen und man kann sich am Feuer wärmen“, fasste sie ihre Deutung der Kunstobjekte zusammen. Den Kunstverein Strodehne verortete sie in der „sehr illustren Tradition“ des italienischen Futurismus. Beiden ginge es darum, Simultaneität und Bewegung zu zeigen.
Ralf Schleiff war es, der dem Begriff des Nomanden und der Ausstellung eine philosophisch tiefgründige Ebene bereitete. Die biblische Ermordung des ersten Nomaden, des Hirten Abel, durch seinen Bruder, den Sesshaften Kain, stellte er an den Anfang seiner Architektur- und Zivilisationskritik. Schleiff betrachtete hintersinnig die skurrilen Rituale der Campingfreunde als Ausdruck eines tief menschlichen Drangs nach einer Bewegung in der Horizontalen. Werde der moderne Mensch in dieser naturgegebenen Ausdehnung gehindert, strebe er in die Vertikale: Dann wolle er sich über andere erheben und baue Treppen, die „Showstufen der Macht“, später sogar Türme. Stürzten diese ein, würde der Mensch gewalttätig. „Man schlägt sich die Zähne ein“, dabei warnte Jesus bereits: „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden.“
Wir verdrängten, so Schleiff, dass uns durch den Begriff der „Flexibilisierung“ ein neues Nomadentum aufgezwungen werde. „Unseren Spargel ernten polnische Ingenieure, unsere Wohnungen säubern polnische Künstlerinnen“, beschrieb Schleiff den allgegenwärtigen Migrationsdruck. Dabei sei eigentlich „Bewegung das beste Mittel gegen Melancholie.“ Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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