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Den Fächer als Symbol für Frauenrock, Stierkampfarena und für Südland sowieso.“ Ich empfinde Musik, aber ich höre nichts, wenn ich die Noten lese.“

© Manfred Thomas

Interview: „Carmen auf der Seebühne ist mehr so wie Filmen bei Außenaufnahmen“

Der Filmregisseur Volker Schlöndorff über taube Ohren, Sängercasting, seine Erfahrungen mit der Opernwelt und seine Inszenierung von „Carmen“.

Stand:

Herr Schlöndorff, was reizt Sie als Filmregisseur nach Jahren der Abstinenz mit „Carmen“ in diesem Sommer bei den Seefestspielen am Wannsee wieder auf die Opernbühne zurückzukehren?

Ich habe ja schon viel Oper gemacht, in den 1970er Jahren. Das hat gleich mit meinem ersten Film „Der junge Törless“ angefangen: Da wollte ich keine gängige Filmmusik und habe mich an den Opernkomponisten Hans Werner Henze gewandt. Das war damals in Berlin, West. Und Henze hat sich den Film angesehen und gesagt: Junger Mann, ich mach Ihnen die Musik zu Ihren Bildern, unter der Bedingung, dass Sie das nächste Mal die Bilder zu meiner Musik machen. Als ich gefragt habe: Was meinen Sie denn damit?, sagt er: Oper inszenieren. Und so bin ich da reingerutscht. Aber ich habe dem dann wieder abgeschworen.

Warum?

Weil es sehr schwer ist, Film- und Opernarbeit miteinander in Einklang zu bringen. Opernhäuser planen mittlerweile so stark im Voraus, die wissen heute: Ja, also dann ist der erste Probentag am 17. Mai 2015, da kommt der Sänger um 11 Uhr in Schönefeld aus da und da an. Das ist wie der Fahrplan der Bundesbahn. Und so lange im Voraus, das geht bei mir nicht. Das ist schon mehrfach schiefgegangen. Und überhaupt die ganze Opernarbeit heutzutage.

Was meinen Sie mit der ganzen Opernarbeit heutzutage?

Inzwischen wird ja Opernregie sogar schon gelehrt, das ist eine ganze Disziplin für sich geworden. Anfang 2005 habe ich an der Deutschen Oper in Berlin Janáceks „Aus einem Totenhaus“ inszeniert. Eine Oper, die ich sehr liebe und die, wie ich fand, sehr gut inszeniert war. Aber das ist überhaupt nicht angekommen. Und da habe ich gesagt: Gut, das sind inzwischen ganz andere Erwartungen an Operninszenierungen und das ist nicht meine Sache. Dann lass ich das und konzentriere mich lieber auf mein Filmemachen, auf das Kerngeschäft. So viel Zeit habe ich eh nicht mehr.

Was gab für Sie jetzt den Ausschlag, es doch noch einmal zu tun?

Weil eine solche Openair-Veranstaltung, das ist ja ganz was anderes. Da kommt Publikum aus Berlin mit Familie, da kommen Leute, die von weither angereist sind, weil sie einen Berlinbesuch machen. Und da gehört dann „Carmen“ am Wannsee dazu. Das lassen die Leute sich etwas kosten und da muss man ihnen auch etwas bieten.

Spielen Sie ein Instrument?

Überhaupt nicht. Ich bin absolut taub auf beiden Ohren. Nein. Ich empfinde Musik, ich kann inzwischen eine Partitur ungefähr durchbuchstabieren, aber ich höre nichts, wenn ich die Noten lese und ich beherrsche weder ein Instrument noch kann ich singen.

Und das erweist sich nicht als schwierig bei der Arbeit mit den Musikern?

Das ist nicht so wichtig. Ich glaube, das Wichtige ist, dass man hören kann.

Und dass Sie die Partitur nur ungefähr durchbuchstabieren und nicht lesen können?

Also dafür gab es ja früher den Walkman, inzwischen den Ipod. Jetzt wird ja Musik sogar auf dem Computer dargestellt, man kann das optisch verfolgen. Außerdem arbeitet man ja mit einem Dirigenten zusammen. Das ist wirklich nicht die Voraussetzung. Es ist sicher für die Opernregie-Studenten die Voraussetzung. Die Musik selbst evoziert ja gewisse Bilder. Ich habe da sehr viel Bildfantasie, wenn ich Musik höre. Sogar bei einem normalen Drehbuch hilft es mir auf die Sprünge, wenn ich Musik höre.

Die Seefestspiele sind als Openair konzipiert. Erfordert Ihre Arbeit als Regisseur hier eine andere Herangehensweise, als Sie es sonst bei Opern gemacht haben?

Ja, da muss man der „Carmen“ gerecht werden, die Erwartungen erfüllen, es muss es lebendig und originell sein. Dann werden die Stimmen übertragen, das ist ja alles verstärkt, inklusive des Orchesters. Dadurch kann man mit den Sängern viel freier inszenieren. Die müssen eben nicht immer von der Rampe ins Publikum reinsingen, damit sie das Orchester übertönen. Dafür sorgt der Tonmeister am Mischpult, hoffentlich. Man kann also schauspielerisch sehr gut arbeiten. Man muss mit dem Raum umgehen können, weil er offen ist. Da sind Bäume, da ist Wind, da ist hinten der See, die Lichtwechsel ändern sich dauernd, die Sonnenstimmung oder Regen, es wird ja bei jedem Wetter gespielt. Das möchte man nicht als Widerstand oder Hindernis empfinden, sondern als eine Bereicherung. Es ist also mehr so wie Filmen bei Außenaufnahmen. Das ist das, was mich gereizt hat. Das ist eine Aufgabe, die muss erfüllt werden. Die Lösungen findet man bei der Arbeit.

Aber wie Sie inszenieren wollen, das wissen Sie schon?

Meine erste Idee war: Berlin 1900, Unter den Linden. Warum muss das immer die Promenade in Sevilla sein? Der Stoff klingt ja sehr nach Berliner Operette und Arbeiterinnen, es hätte auch bei der AEG sein können. Aber das hab ich mir dann alles abgeschminkt, weil mir plötzlich eingefallen ist: Kuba heute. Kuba heute ist ungefähr so wie Europa 1950. Alles ist wie eingefroren in einer Zeitblase, es hat etwas sehr Dekoratives. Militär spielt noch eine wichtige Rolle. Das geht alles sehr gut auf und Zigarren und Stierkampf gibt es ohnehin. Also muss man keine Verrenkungen machen.

Ein Bühnenbild haben Sie bereits gefunden.

Ja, wir haben diese Idee gehabt, die so naheliegend ist, dass man gar nicht versteht, warum das nicht schon hundertmal gemacht worden ist: Den Fächer als Symbol für Frauenrock und Stierkampfarena und für Südland sowieso, für Verführung und für Verstecken.

Zu den diesjährigen Seefestspielen gehört auch ein Sängercasting. Wie stark sind Sie dabei involviert?

Da bin ich so stark wie es irgend geht involviert! Ein Opernhaus hat ja normalerweise ein festes Ensemble für die Besetzung, vielleicht kann man sich noch einen Star einkaufen. Hier wird das Ensemble aber praktisch für einen Sommer zusammengestellt. Das sollen junge und spielfreudige Sänger sein. Dadurch hat man mehr Möglichkeiten, auszuwählen und kann auch bei den Nebenrollen sehr viel unkonventioneller besetzen.

Dieser Casting-Charakter, man denkt ja sehr schnell an bestimmte Fernsehformate.

Nein, nein. Das Wort Casting ist ganz falsch für diesen Vorgang. Da denkt man an Amateure, die jetzt kommen und sich bewerben. Das ist aber überhaupt nicht meine Absicht. Ich würde nicht einmal Komparsen mit Amateuren besetzen. Das müssen Profis sein, noch weitgehend unbekannte eben.

Hatte Ihre frühere Opernarbeit auch Einflüsse auf Ihre Filme?

Als Christoph von Dohnányi in den 70ern Intendant in Frankfurt war, habe ich dreimal hintereinander Janácek und Puccini inszeniert. Dabei habe ich mit Hildegard Behrens auch eine großartige Sängerin und Darstellerin entdeckt. „Katja Kabanowa“ war ihre erste Oper und ihr Durchbruch. Da hab ich gesehen, dass man wie bei Filmen Emotionen wunderbar ausdrücken kann. Bei der Oper ist alles komponiert, jeder Takt und jeder Taktwechsel. Eine Erfahrung, die mir auch beim Film später sehr weitergeholfen hat. Dass man eben auch Gefühle analysieren, zerlegen und in Zeiteinheiten aufteilen kann. Beim Film macht man das nachher am Schneidetisch, bei der Oper vorweg, denn bei einem guten Komponisten, da ist das alles vorgesehen. Wie viele Takte gibt es für den Auftritt, wann fängt eine Szene an?

Und dann kommt die Arie.

Ja, dass jede Person ihre Arie haben muss, wo alles drumherum vergessen wird und man sich einen Moment lang ganz auf die eine Person konzentriert. Beim Film ist das die Großaufnahme. Ich habe das manchmal ganz bewusst angewandt. Bei „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ wusste ich: Jetzt kommt die Arie der Katharina Blum, das ist die Befragung bei der Polizei, da muss man dann alles vergessen, die Polizisten und alles drumherum, dann geht es nur um diese eine Arie. Und das erweist sich auch als haltbar. Immer, wenn ich den Film sehe, merke ich: Das ist der Höhepunkt des Films. Und das war praktisch der Oper abgekupfert als Stilmittel.

Können Sie sich entsinnen, wann Sie das erste Mal „Carmen“ gehört und gesehen haben?

Also gehört schon als ganz kleines Kind, sonntags im Wunschkonzert – und zwar eher als Witznummer. Ich meine: Die Arien „Habanera“ und „Toreador“, das kann man ja gar nicht mehr ernst nehmen, so abgenudelt ist das. Das macht es natürlich schwer, es neu zu erfinden. Und dann habe ich in den 60er Jahren in München an der Oper Jean-Pierre Ponelle, der Bühnenbildner und Regisseur war, ein ganz wunderbarer Opernregisseur, sehr temperamentvoll, den habe ich mal bei Carmen-Proben beobachtet, mehr durch einen reinen Zufall. Denn er wollte einen Film machen und wollte, dass ich mal zu ihm in die Proben komme. Das war die eine „Carmen“ , an die ich mich erinnere. Die andere war die von Peter Brook in Paris, eine wunderbar reduzierte Kammerspiel-Variation.

Sie sagen, dass „Carmen“ mittlerweile regelrecht abgenudelt ist. Das hat Sie nicht abgeschreckt?

Man kann so etwas Abgedroschenes wie die „Habanera“, wo jeder meint, er weiß, wie das gesungen und wie das gespielt werden muss: Den Rock raffen und die Blume im Haar und die Hüfte vorstellen und den provozierenden Blick, man kann das eben auch ganz anders machen. Maria Callas hat das, wie ich finde, wunderbar gemacht. Weil sie die Carmen ernst genommen hat als eine tragische Figur. Wenn die also „Tralalalala“ vor sich hinträllert, dann ist das nicht aus Freude am Gesang. Ich finde, es geht ja nur darum: Der Tod der Carmen muss tragisch sein. Man muss auf ihrer Seite sein, zeigen, dass sie eben nicht so eine oberflächliche Frau ist. Sie nimmt auch nicht teil an diesem südländischen Weib-Wein-Folklore. Sie fällt auf ihren eigenen Zigeuner-Mythos herein: Sie erwartet die ganz große Erfüllung von der Liebe. Und fällt damit aus der Zeit, überall aus der Zeit, und aus dem Ort heraus.

Man spürt in diesem Gespräch bei Ihnen ein tiefes Gefühl für die Figur der Carmen, für die Oper überhaupt. Ist das jetzt vielleicht doch ein Wiedereinstieg oder bleibt es mit den Seefestspielen bei einem einmaligen Gastspiel?

Ich glaube schon, dass das etwas Einmaliges bleiben wird. Wobei, wenn es an diesem Ort tatsächlich möglich ist, dann hätte ich nichts dagegen, auch wieder dorthin zurückzukommen. Aber insgesamt werde ich nicht zur Opernregie zurückkehren, ganz bestimmt nicht. Ich bin Filmemacher, das genügt mir.

Das Gespräch führten Jana Haase und Dirk Becker

Volker Schlöndorff,

geboren am 31. März 1939 in Wiesbaden, ist ein deutscher Filmregisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent, der vor allem für seine Literaturverfilmungen bekannt ist.

Der in Potsdam lebende Künstler ist der zweite von drei Söhnen einesArztes. Seine Mutter kam 1944 bei einem Küchenbrand ums Leben. Schlöndorff wuchs im Taunus auf und besuchte das Gymnasium in seinem Geburtsort. Ab 1955 setzte er seine Ausbildung in Frankreich fort. Zunächst ging er auf ein liberales jesuitisches Internat, dann schloss er die Schule inParis auf der Eliteschule „Lycée Henri IV“ ab.

Schlöndorff studierte in Paris Jura. Nebenbei ging er bis zu dreimal täglich in die Cinémathèque française. Dorr Nouvt lernte er die Regisseure deelle Vague kennen. Er wurde Regieassistent von Louis Malle. Nach dem Oscar-Erfolg seiner Blechtrommel-Verfilmung blieb er in den USA. Nach dem Fall der Mauer zog er nach Potsdam und war von 1992 bis 1997Geschäftsführer des Filmstudios Babelsberg.

Zu seinen wichtigsten Filmen gehören „Der Unhold“, „Die Stille nach dem Schuss“ und „Der neunte Tag“. 2009 inszenierte er Tolstois letztes Theaterstück „Und ein Licht leuchtet in der Finsternis“ auf dem Schloss Neuhardenberg.

Schlöndorff ist verheiratet und hat eine Tochter. Im Alter von 60 Jahren begann er mit dem Lauftraining für ein bis zwei Marathonläufe im Jahr. PNN

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