Kultur: Carpenter, dieser Harold
Klangsinnlich, transparent, orgiastisch – das 9. Sinfoniekonzert im Nikolaisaal
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Da haben sich das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt und sein Chefdirigent Howard Griffiths wieder einmal was Feines ausgedacht, indem sie am Freitagabend das 9. Sinfoniekonzert des Nikolaisaals mit einem spannenden Programm mediterraner Erinnerungen und mythologischer Traumbilder aus französischen Notenfedern zu einer Klangdelikatesse ersten Ranges machten. Selbst schuld, wer daran nicht teilhaben wollte oder konnte.
Und es waren etliche, die sich jene fast einmalige Chance entgehen ließen, den 29-jährigen, in New York geborenen Weltklasse-Bratschisten David Aaron Carpenter als Solisten in der ziemlich selten aufgeführten Sinfonie für obligate Viola und großes Orchester von Hector Berlioz zu erleben. „Harold in Italien“ nennt sich das viersätzige Werk, in dem der Komponist seine in üppige Klänge geronnenen traumhaften Erinnerungen an den eigenen Italienaufenthalt verarbeitet hat. Und jener Harold ist nun Hectors Alter Ego, Vertreter jenes existenziell einsamen Künstlers und romantischen Träumers, wie ihn das 19. Jahrhundert liebte.
Es macht schlichtweg staunen, wie David Aaron Carpenter in die Rolle des Harold schlüpft und mit seinem 250 Jahre alten Instrument aus venezianischer Meisterwerkstatt gleichsam eine unauflösliche Symbiose eingeht. Nachdem das Orchester das Düstere und Bedrohliche der alpinen Bergwelt nebst wabernden Nebelschwaden und heftigem Unwetter sehr plastisch geschildert hat, stellt der Solist das innige „Harold“-Thema vor.
Sein gefühlvoll weicher Ton verströmt schmachtende Kantabilität in Fülle, um sich schließlich in traumhaftem Pianissimo zu versenken. Dazu idyllische Harfenklänge – so schön kann Glück und Freude klingen. Dann jubiliert er mit dem hell klingenden, voluminös auftrumpfenden, alsbald kammermusikalisch zart und transparent tönenden Orchestertutti.
Mit vollem körperlichen Einsatz durchmisst er die Etappen jener Italienreminiszenzen des Titelhelden, begleitet den „Abendgesang der Pilger“, beobachtet die liebessanft bis leidenschaftlich erregt tönende „Serenade eines Bergbewohners in den Abruzzen“. Und immer wieder steht Harold alias Carpenter am Rande des musikalischen Geschehens, muss mehr zuhören als selber sprechen. Im orgiastischen Finale mit rohen und wild zechenden Räubern verstummt die Bratsche alsbald und der Solist verlässt das Podium. Wie aus weiter Ferne sendet er in Höhe der hinteren Saalreihe Harolds kurzen Abschiedsgruß. Sehr effektvoll. Dem Bravojubel danken Solist wie Orchester mit Bravourvariationen über das zigeunerisch-russische Volkslied „Murka“ und Paganinis fingerverrenkende Saitenakrobatik des „Carneval di Venezia“.
Orchestrale Klangmalereien in den leuchtendsten Farben bestimmen auch die Wiedergaben der jeweils zweiten Ballettsuiten von Albert Roussel und Maurice Ravel. Schwelgerisch, klar, transparent und wie zerbrechlich beginnt Roussels „Bacchus und Ariadne“, ehe die Folge filigraner Tanzszenen voller Esprit, Turbulenz und Eleganz anhebt. Das Raffinement der Instrumentierung findet seinen Höhepunkt im effektvollen Bacchanal. Mit verführerischem Klangsinn und schillernden Farbenspielen begeistert auch die funkelnde und glitzernde, schmelzende und schmachtende, rhythmusbesessene und orgiastisch endende Wiedergabe von Ravels „Daphnis und Chloë“. Danach kennt der Jubel kaum Grenzen. Peter Buske
Peter Buske
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