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Kultur: Casanova auf Abwegen

Schon nach den ersten vierzig Seiten hat Giacomo Casanova seinem Ruf alle Ehre gemacht und nacheinander zwei ehrbare Damen beschlafen. Doch wird das „Sinnbild des Verführers“ bald zum Detektiv, den es von Berlin nach Potsdam und nach Glienicke verschlägt, wo er einem ungeahnten Gewaltverbrechen auf die Spur kommt.

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Schon nach den ersten vierzig Seiten hat Giacomo Casanova seinem Ruf alle Ehre gemacht und nacheinander zwei ehrbare Damen beschlafen. Doch wird das „Sinnbild des Verführers“ bald zum Detektiv, den es von Berlin nach Potsdam und nach Glienicke verschlägt, wo er einem ungeahnten Gewaltverbrechen auf die Spur kommt. In „Die indiskreten Briefe des Giacomo Casanova. Ein Roman aus dem alten Preußen“ lässt der in Berlin lebende Herbert Beckmann, Autor mehrerer Sachbücher, Romane, Kinderbücher und Hörspiele, den durch seine unzähligen Liebesabenteuer bekannt gewordenen Casanova ganz ungewöhnliche Dinge erleben.

Durchweg in recht ausgreifenden Briefen berichtet Ich-Erzähler Casanova seiner geheimnisvollen Vertrauten und Gönnerin von seinen Erlebnissen und Eindrücken im friderizianischen Preußen, wo er im Sommer 1764 für einige Wochen weilt. Die Zeit vertreibt sich der Lebemann zunächst in den Salons der Rokoko-Welt des preußischen Adels, immer seiner erklärten Lebensaufgabe treu, jede Schöne zu beglücken. Deshalb zögert Casanova auch nicht lange, als ihn der kantige alte Baron von Ribbeck bittet, seinen spurlos verschwundenen Schwiegersohn, Graf von Wilmerstorff, zu finden. Denn es ist die liebreizende Strohwitwe, die er dabei im Auge hat, als er den Geheimauftrag annimmt und sich als Privatdetektiv zum Rittergut Glienicke begibt.

Dort werden bereits zwei weitere Personen vermisst, Stallburschen, die angeblich von „geilen alten Böcken“ als Lustknaben in ein fernes Schloss oder von skrupellosen Militärwerbern nach Potsdam verschleppt worden seien. Casanova steht vor vielen Fragen, nahezu alle seine Nachforschungen laufen aber ins Leere. Bei den Familien Ribbeck und Wilmerstorff stößt er auf ein Wirrwarr aus Geheimniskrämerei und offenkundig falschen Angaben. Und obendrein zeigt ihm seine insgeheim erhoffte Beute auch noch die kalte Schulter, hingegen er vor den „sauren Küssen“ einer spindeldürren Baronesse Reißaus nehmen muss.

Am Ende verschlägt es Casanova nach Potsdam. Hier wird er sogar von Friedrich dem Großen empfangen. Und hier gelingt ihm auch das scheinbar unentwirrbare Geflecht von Widersprüchen zu lösen. Nur wirkt der Showdown dann recht abgegriffen und Casanovas Entlarvung eines inzestuösen adligen Serienmörders gelingt nur mit schlechterdings billigen Tricks.

Trotz des schwachen Endes hat Herbert Beckmann aber einen guten, durchaus spannenden Unterhaltungsroman geschrieben. Darin haben die fiktive Handlung, die Erfindungen und das Vergnügen eindeutig den Vorrang vor den historisch gesicherten Daten und Notizen, die dennoch reichhaltig und sehr geschickt eingestreut wurden. Für seinen Roman greift Beckmann dabei eine wahre Begebenheit aus dem Leben des Giacomo Casanova auf. Im Sommer 1764 machte Casanova, bekannt durch seine Memoiren „Geschichte meines Lebens“, während seiner Reise durch Europa auch in Berlin und Potsdam Station, um sich, wenn auch erfolglos, bei Friedrich dem Großen um eine Anstellung in der königlichen Akademie der Wissenschaften zu bewerben. Bis zur Audienz beim König hielt sich Casanova, der selbst ernannte Chevalier de Seinsgalt, einige Wochen in den preußischen Residenzstädten auf. Diese Zeit nutzt nun Beckmann, um den Liebeslustigen zum Detektiv werden zu lassen.

Als einfacher Krimi könnte diese Geschichte wohl kaum funktionieren. Authentisch, bildhaft, liebevoll, wenngleich manchmal etwas zu detailliert versteht es der Autor, eine sehr lebendige Erzählwelt zu entwerfen, die von den Landschaften und Städtearchitekturen bis zur Kleidung und genauen Physiognomien des Romanpersonals reicht. Und über allem thront ein etwas selbstgefälliger, spottlustiger, doch amüsanter Ich-Erzähler mit einer eleganten aber erfreulich ungekünstelten Sprache. Es ist nur bedauerlich, dass sich gerade diese übersprühende Frische des Erzähltons dann im Verlauf der Lektüre mehr und mehr verliert. Daniel Flügel

Herbert Beckmann: Die indiskreten Briefe des Giacomo Casanova. Ein Roman aus dem alten Preußen, Gmeiner Verlag, Meßkirch 2009, 371 Seiten, 12,90 Euro

Daniel Flügel

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