Kultur: Chancen vertan
Clemens Bechtels Theaterabend „Potsdam – Kundus“ hat am Mittwoch Premiere. Ein Gespräch.
Stand:
Herr Bechtel, am deutschen Einsatz in Afghanistan scheiden sich die Geister. Angesichts der zunehmenden Zahl toter und traumatisierter Soldaten wird die Frage immer lauter, ob die internationale Hilfe wirklich Erfolge für die Demokratisierung des Landes am Hindukusch gebracht hat. Spiegelt sich diese Hilflosigkeit in Ihrem dokumentarischen Theaterabend „Potsdam – Kundus“ wider?
Wir beleuchten den Weg, der in den zehn Jahren gegangen wurde, retrospektiv. Insgesamt gibt es in der Völkergemeinschaft durchaus in extremen Situationen die Notwendigkeit, einander beizustehen. Warum sich die Lage in Afghanistan so entwickelt hat, wie sie derzeit ist, wollen wir untersuchen. Wir fragen nach den einstigen Zielen und wohin wir gekommen sind. Dazu verlesen wir auch die in Protokollen festgehaltenen Strategien.
Protokolle, das hört sich sehr trocken an.
Die werden nur in wenigen Worten formuliert. Uns geht es vor allem um die Erlebnisse vor Ort, was den Soldaten, Entwicklungshelfern und auch den Afghanen ganz persönlich passiert ist und das wird szenisch sicher interessant.
Wo und wie haben Sie recherchiert?
Die Chefdramaturgin des Hans Otto Theaters, Ute Scharfenberg, und ich haben mit vielen Betroffenen gesprochen und auch Soldatenliteratur gelesen. Sehr wichtig waren uns die Auskünfte von UN-Beobachter Thomas Rüttig, der die Prozesse seit Anfang an verfolgt und auf der Bühne im Video auftaucht. Er ist sehr skeptisch, was die Zukunft des Landes anbetrifft und beobachtet, wie der Demokratieprozess zunichte gemacht wird. Bis 2003 standen die Afghanen dem internationalen Hilfseinsatz noch positiv gegenüber. Dann gab es viele vertane Chancen und die Skepsis wuchs.
Worin liegen diese vertanen Möglichkeiten?
Man wollte eine Demokratie schaffen, doch dann hob man ehemalige Kriegsverbrecher in Ministerposten. Aber auch die ausländischen Soldaten und selbst die Hilfsorganisationen werden inzwischen als Besatzer wahrgenommen. Das hat mit den unzähligen zivilen Opfern zu tun und mit den Milliarden, die versprochen wurden, aber nie ankamen, weil sie nicht gezahlt oder in falsche Kanäle flossen. Die wirtschaftliche Lage hat sich nicht verbessert, die Sicherheitslage sogar verschlechtert.
Seit einem Jahr gibt es eine neue Strategie, das Partnering, das auf eine enge Zusammenarbeit der Schutztruppen mit den Afghanen setzt. Der Generalmajor der ISAF-Truppen vom Regionalkommando Nord, Hans-Werner Fritz, sagte in einem Interview, dass die Aufständischen jetzt merken würden, dass es ihnen wirklich an den Kragen geht und viele Taliban die Waffen strecken.
Wir haben mit Politikern gesprochen und die hoffen, dass sich die Situation durch dieses Partnering grundlegend ändert. Das jedenfalls ist die Strategie. Wir schauen, wie das die Menschen vor Ort erleben. Wir wollen kein trockenes Polittheater, sondern nachvollziehbar machen, was der Krieg mit dem Einzelnen macht. In den zehn Jahren ist jedenfalls ein großes Chaos entstanden und ich glaube, man kann so ein Land nicht sich selber überlassen und einfach rausgehen. Aber das Theater kann keine Fragen beantworten, die die Politik nicht zu beantworten vermag. Wir versuchen, die verschiedensten Perspektiven zu beleuchten und werden widerspiegeln, wie es ist, wenn Entwicklungshelfer in Uniform beim zivilen Aufbau unterstützen wollen und plötzlich zum Opfer, ja vielleicht sogar zum Täter werden, wie der Fall Kundus 2009 zeigt.
Neben sechs Schauspielern steht auch eine Zeitzeugin auf der Bühne.
Ja, die Afghanin Tereshkova Obaid aus Kabul, die vor einigen Jahren nach Deutschland gekommen ist und immer wieder in ihre Heimat reist. Sie wird erzählen, wie die Afghanen den Einmarsch erlebten und wie es ihnen heute geht. Seit 35 Jahren haben fremde Mächte ihre Finger mit im afghanischen „Spiel“: erst die Russen, dann die Engländer und Pakistani. Ihr Bruder wurde mit 16 Jahren von islamischen Warlords, den „Kriegsfürsten“ entführt und nach Pakistan verschleppt. Dort wurde er in einer islamischen Schule an Waffen ausgebildet und blieb drei Jahre verschwunden. Es gibt Afghanen, die sagen: Heute werden wir von den Taliban und von Westeuropa angegriffen.
Erfährt man auch etwas über die Taliban?
Wir gucken uns auch die Gegenseite an. Da gibt es den Fotografen Eric Breininger aus dem Saarland, der mit 18 Jahren zum Islam konvertierte und nach Afghanistan ging, um mit den Taliban zu kämpfen. Er wurde ein gesuchter Terrorist und kam bei einem Schusswechsel mit afghanischen Polizisten ums Leben. Kurz vorher stellte er seine Autobiografie ins Internet. Aus diesen Texten lesen die Schauspieler ebenso wie aus dem Buch „Ein schöner Tag zum Sterben“ der Bundeswehrärztin Heike Groos.
Haben Sie auch in Geltow, dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr, recherchiert?
Ja, und wir trafen auf eine sehr eigene, in sich geschlossene Welt mit Sandsäcken und aufgepflanzten Maschinenpistolen vor der Tür. Es gab, gelinde gesagt, eine gewisse Vorsicht gegenüber uns Theaterleuten, vielleicht aus Angst, wir könnten die Bundeswehr in die Pfanne hauen. So lange die Kamera nicht lief, war das Gespräch aber ganz offen. Der Pressesprecher erzählte uns, was es heißt, wenn die Nachricht vom Tod eines Soldaten in die Zentrale kommt und wenn die Hinterbliebenen benachrichtigt werden müssen. Wir sprachen auch über Traumatisierungen von Soldaten.
Warum ist gerade das Zurückkommen für die Soldaten so schwierig?
Solange sie im Einsatz sind, müssen sie funktionieren. Die Traumatisierung kommt erst zu Hause. Plötzlich können sie nicht mehr in langen Schlangen stehen, sehen in jedem Muslim einen Attentäter, bekommen Panikattacken, wenn eine Tür zuschlägt. Der Krieg wird zur Normalität. Dass er nicht normal ist, merken sie erst zu Hause. Und ich glaube, dass auch die Kameradschaft eine große Rolle spielt. Die Soldaten leben vier Monate in einer Notgemeinschaft und müssen wie Pech und Schwefel zusammenhalten. Dann kommen sie zurück in eine Welt ohne relevante Probleme, ohne das Gefühl, Wichtiges zu tun. Der Einsatz arbeitet im Kopf nach. Die Angehörigen erwarten, dass der Partner endlich ankommt. Doch der bleibt ein Fremder in der eigenen Umgebung und sehnt sich nach der Kameradschaft zurück.
Wie sieht für die Soldaten die Begegnung mit den Afghanen aus?
60 bis 70 Prozent verlassen nie das Lager, die wenigsten gehen auf Patrouille. Sie begegnen dem Fremden überhaupt nicht. Doch um so bedrohlicher empfinden sie es. Jeder, der von außen kommt, ist für sie ein potentieller Attentäter.
Wollen Sie selbst nach Afghanistan reisen?
Nein, mein Herz ist schon vergeben. Es gehört Afrika. Gerade arbeite ich auch an einem Projekt zwischen Konstanz und Malawi zum Thema Entwicklungshilfe. Da geht es um die Frage: Wie werden Gelder gesammelt, wo gehen sie hin?
Sie haben sich bereits mit zwei politischen Theaterabenden in Potsdam einen Namen gemacht: mit „Staats-Sicherheiten“, der den Friedrich-Luft-Preis erhielt, und mit dem Dokumentarprojekt „Vom Widerstehen“ über die Bürgerrechtsbewegung in Potsdam und Berlin um die Wendezeit. Kein Interesse an Klassik?
Doch, ich inszeniere alles, außer Beziehungsdramen. Die brauche ich nicht auch noch auf der Bühne (lacht). Das dokumentarische Theater hat etwas mit meinem persönlichen Interesse zu tun. Ich sehe Theater als Spiegel der Gesellschaft und will aktuelle Probleme nicht in „Mutter Courage“ reinzwängen. Der Zuspruch auf meine Abende zeigt, dass die Zuschauer durchaus über komplexe politische Fragen nachdenken wollen.
Gibt es nach den ruhigen 90er Jahren wieder eine Politisierung in der Bevölkerung?
Ein stückweit schon, wie gerade Stuttgart 21 zeigt. Da liegt was in der Luft. Das sieht man auch im Interesse an Filmen über Klimawandel oder Nahrungsmittel. Das Theater muss sich einmischen. Damit machen wir uns unentbehrlich. Für Unterhaltung gibt es andere Medien.
Wann wurde Ihr politisches Interesse wach gerufen.
Ich war schon Schülersprecher, dann Hausbesetzer und immer auf Demonstrationen dabei. Die 90er waren dann eher eine Saure-Gurken-Zeit. Da habe ich auch Komödien und Musicals inszeniert.
Was ist Ihr nächstes Thema?
Ich möchte mir gern ansehen, wie Hunger gemacht wird.
Premiere Mittwoch, 12. Januar, 19.30 Uhr, Reithalle.
Das Gespräch führte Heidi Jäger
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