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Kultur: Chapeau, Jürgen Holtz!

„Unwiederbringlich“ – eine Lesung des Fontane-Romans im Fontane-Archiv

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„Wir würden gern auch den zweiten Teil hören“, baten am Mittwoch die etwa vierzig Besucher den Vorleser zur fortgeschrittenen Stunde. Er aber war klug genug, das Ende dieser Geschichte offen zu lassen. Neben dem Briefwechsel zwischen Emilie und Theodor Fontane und der „Cécile“ bildet der über fünfhundert Seiten starke Ehe-Roman „Unwiederbringlich“ das Rückgrat des Herbst-Winterprogramms im Fontane-Archiv.

Kein Geringerer als der Schauspieler Jürgen Holtz („Motzki“) war gebeten, in einer Langen Nacht so viel daraus vorzutragen, wie er wollte und dem Publikum zumutbar war. Ein Experiment, gewiss, es war ja möglich, dass „durchgelesen“ wird. Im 76. Jahr stehend, ist dem Berliner Urgestein Holtz Fontane nicht neu, wohl aber dieses Buch. Er hält die tragische Dreiecksgeschichte zwischen Graf Holk, seiner puristischen Frau Christine und der flatterhaften Hofdame Ebba von Rosenberg für „sehr heutig“, es soll ja nicht nur am dänischen Hof um 1850 vorgekommen sein, daß sich ein gestandener Gatte in eine Jüngere verliebt und dabei alles zerstört. Jürgen Holtz interessierte besonders die „Tiefenstruktur“ des 1892 erschienenen Romans, die er überraschend mit Goethes „Faust“ verglich: Hexenküche, Walpurgisnacht und Gespenster bestimmten eigentlich das Sujet, wie bei Ibsen. Typisch Schauspieler, aber gut! Alles kommt natürlich auf das Wie an, und da ist Fontane einfach Spitze.

Das fanden nicht nur die Zuhörer über mehr als drei Stunden, auch Jürgen Holtz. Nach einem etwas suchenden Anfang drang er so tief in den Stoff, bis er sich der in den Erzähler Fontane verwandelte. Die Liebe im Zentrum, betonte er die „dramatischen Schnittstellen“ der Handlung. Er ließ zwar ganze Kapitel aus, zeigte aber dafür, wie sehr die Figuren allenthalben aneinander vorbeireden und wie geschickt der Autor seine Perspektiven auswählte: Holk reist mit dem Dampfer nach Dänemark, indes der Hörer erfährt, wie es den Zurückbleibenden ergeht. Tatsächlich konzentrierte sich der Schauspieler auf die Tiefenstruktur („Informationen vorzulesen ist nicht mein Amt!“) des Textes. Dialoge, Perioden, Schilderungen, alles atmete Dasein und Leben, Geist und Gefühl. Man staunte, wie viel Humor in dieser Ehetragödie steckt. Ist es nicht Kunst, die Spannung in so langer Zeit noch zu steigern? Ganz Subtext, ganz Gegenwart, die Lesung selbst war ein Kunstwerk, Chapeau! Auch für das Fontane-Archiv eine ganz neue Erfahrung.

Kürbissuppe und deftige Brotzeit in der Pause, man sprach nur von einem. Manche hatten ihr Buch mitgebracht, doch man hörte: „Ein völlig neuer Roman!“ Danach fand dieser Abend ein überraschendes Ende. Wo die „märchenhafte“ Liebesgeschichte zwischen Holk und Ebba beginnt, im Sonnenuntergang mit einem Hauf Hirsche, brach der Erzähler ab. Weder Liebesnacht noch Feuerbrand, weder Scheidung und Wiederverheiratung werden auf dem archivierten Live-Mitschnitt zu hören sein. Die Gräfin verkraftete die Verletzung des Gatten letztendlich nicht. In stiller Demut schied sie aus ihrem Leben. Ein Freitod im Meer. „Unwiederbringlich“ stand auf dem Zettel zum Abschied.

Wo es am schönsten ist, soll man aufhören, auch Selberlesen macht ja klug. Aber es gibt Hoffnung. Jürgen Holtz hat an dem Roman und der Villa Quandt so viel Gefallen gefunden, dass er ein Hörbuch erwägt. Schön wär''s, doch er weiß ganz genau, wie unwiederbringlich eine Atmosphäre wie diese bleibt. Unwiederbringlich, einfach unwiederbringlich. Gerold Paul

Gerold Paul D

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