Kultur: Chormusik aus Übersee
Benefizkonzert des Vassar College Coir aus den USA
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Die Nikolaikirche an Potsdams zentralster Stelle sieht ja derzeit aus, als hätte Christo sie eingepackt. Ohne Glockengruß begann hier am Freitagabend ein weiteres Benefizkonzert zu ihrer Restaurierung.
Eingeladen hatte die Nikolaigemeinde den Vassar College Choir aus Poughkeepsie, welcher auf seiner einwöchigen Deutschlandtournee als letzte Station in Potsdam gastierte. Wie Eisenach, Bad Schmiedeberg und Leipzig, so beeindruckte auch Brandenburgs Landeshauptstadt die Studenten aus Übersee gewaltig, St. Nikolai eingeschlossen, deren Akustik, wie Chorsprecher Ted Fondak es bald entdeckte, stets kuppelwärts strebt, um sich dort zu verfangen. Also war der verbale Teil der Programmführung trotz Mikrofon wieder einmal nicht gut zu verstehen, indes Chorleiterin Christine Howlett beim einstündigen Konzert sehr genau darauf achtete, wie lange die Stimmen nachhallten. Nur mäßiger Besuch, aber ein wärmendes a-capella-Konzert aus vierunddreißig jungen, und wie sich dann zeigen sollte, auch temperamentvollen Stimmen.
Musik hat an diesem College eine lange Tradition. Schon vier Jahre nach seiner Gründung wurde 1865 eine Musikabteilung mit den Schwerpunkten Aufführung, Komposition, Geschichte und Theorie eingerichtet, zuerst nur für Frauen, bald aber durften auch Männer mitmachen. Leistungsfähigkeit, Experimentierfreude und ostentative Geschlechtergleichheit, gehören zur „Grundausstattung“ dieser Bildungsanstalt, und tatsächlich hat dieser Chor eine bemerkenswert positive Ausstrahlung, spürbare Disziplin, Willen zur Darstellung und genügend Handwerk, Literatur vom 16. bis zum 20. Jahrhundert auch überzeugend darzustellen.
So begann man mit Tómas Luis de Victoria“s „O quam gloriosum“, welches zwar noch die Notation der Gregorianik mitbringt, aber auch schon den Geist der Renaissance, ein klangvolles und schönes Entree.
Jessica Jack (Sopran), Jacquelyn Matava (Mezzosopran) und der Tenor Zachary Mark setzten mit „O vos omnes“ desselben Komponisten fort, wobei die Unisono-Parts des Chores geschlossenes wirkten als die Einzelstimmen. Brahms Opus 92 (1) „O schöne Nacht“ machte in dem gemischten Chor in den hohen Sopranlagen etwas Schwierigkeiten, aber seinen sehr „deutschen Ton“ zu fassen, dürfte „aushäusig Geborenen“ ohnehin schwerfallen. Ähnlich Fanny Hensel“s romantische „Gartenlieder“ – eine schöne Geste an das Gastgeberland. Beides wurde in Deutsch gesungen und mit Freude applaudiert.
Noch einmal eine moderne, sehr kantable Adaption auf die Vergangenheit bei Maurice Duruflé“s „Quatre Motets sur des Thèmes Grégoriens“ aus den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, dann wurden moderne Chorsätze pur gegeben, von Eric Whitacre (geb. 1970). „Mata del anima sola“ in südamerikanischer Rhythmik schien den Chor nun von den Zwängen der kompositorischen Strenge zu befreien. Das übertrug sich aufs Publikum. „Elijah Rock“ und „John the Revelator“ begeisterten durch einen sehr lebendigen Vortrag. Zuletzt umstellte der Chor das Gestühl von drei Seiten, um noch einmal „O quam gloriosum“ zu singen, eine großartige Idee.
Groß auch, dass der Chor den Hauptteil der Tourneekosten aus eigener Tasche bezahlte, weil solch ein Weg ihm nützlich dünkte. Gerold Paul
Gerold Paul
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