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Kultur: Christoph Hein las aus „Landnahme“

„Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen“, schrieb Theodor Fontane im Vorwort seiner „Wanderungen“ als ersten Satz. Das Thema ist hochaktuell.

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„Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen“, schrieb Theodor Fontane im Vorwort seiner „Wanderungen“ als ersten Satz. Das Thema ist hochaktuell. Wer „Heimat“ hat, versucht sie in den ganz gewiss vorübergehenden Zeiten der „Globalisierung“ für sich neu zu definieren, wer sie aber verliert, findet kaum noch Grund unter den Füßen. Das mussten nicht nur Exilrussen unter dem Zaren und Exildeutsche unter Hitler erfahren, auch etliche Millionen, die nach dem verlorenen Krieg 1945 aus den teils angestammten Gebieten östlich der Oder vertrieben wurden.

Der in Schlesien geborene Schriftsteller Christoph Hein hat sich dieses brisanten Themas in seinem Roman „Landnahme“ angenommen, während die Ausstellung mit dem Titel „Oberschlesien im Objektiv“ es im Kutschstall auf ihre Weise tut. Beides sollte am Mittwoch bei einem Leseabend im Haus der Brandenburgisch Preußischen Geschichte zusammenkommen. So war es zumindest gedacht.

Der Autor las einen Querschnitt aus dem 2004 erschienenen Buch, welches die Geschichte des fiktiven Protagonisten Bernhard Haber und seines Sohnes Paul vom Ende des Krieges bis in die Zeit der Wiedervereinigung beschreibt. „Landnahme“ drückt diesen Vorgang bewusst metaphorisch aus. Nach den ziemlich unbeholfenen Fragen des „Kulturreferenten für Schlesien am Schlesischen Museum zu Görlitz“ (Michael Parak) zur Werkgeschichte war das zahlreich erschienene, gut gemischte Publikum an der Reihe. Stoff gab es reichlich, zum Beispiel über weit mehr als acht Millionen Flüchtlinge, die bald 16 Prozent der BRD-Bevölkerung ausmachten, in der DDR (3,3 Millionen) sogar über 20 Prozent; hier verschämt „Umsiedler“ genannt. Wie haben deutsche Mitbürger sie behandelt, wie lebten sie? Die ausgewählten Kapitel machten ihren glücklosen Zustand schon am Anfang deutlich, als der zu Breslau geborene Protagonist in einer Schule westlich der Oder von Lehrern und Mitschülern als unwillkommener Aussatz gedemütigt wird. Bernhard gelingt die „Integration“ nicht, weil die Kleinstadt Guldenberg (Bad Düben) das verhindert, wahrscheinlich hat man ihn aufgehängt. Erst Sohn Paul schafft nach 1989 den Sprung in die Einheit, das heißt zu den Neureichen. Alle anderen blieben im Bewusstsein der Eingeborenen nur „Habenichtse, Bauern mit groben Händen, die auf unsere Kosten leben – sie gehören gar nicht hierher“. Gängige Argumente damals hüben wie drüben. Die Bodenreform der DDR habe diese Differenzen zwar eher noch wettgemacht als die „Vertriebenen-Abfindungen“ in der BRD, meinte Hein, letztlich wurden die Heimatlosen in ganz Deutschland wie Fremde behandelt: Neid und Stigmatisierung verhinderten die Assimilation fast überall: Sie sollen ja wohnen, aber nicht hier! Nur dann gehörte man wieder „dazu“, wenn der Preis für die innerdeutsche „Integration“ bezahlt war, wie bei Paul. Wirtschaftlich erfolgreich, darf er in Kommunalpolitik und Gesellschaft, mitmischen. Das Buch handelt weniger vom Topos „Heimat“ als von der weitverbreiteten Unfähigkeit, selbst „die Eigenen“ wie Brüder in Deutschland zu behandeln. Hein begründete dies allgemein mit „der menschlichen Natur seit 4000 Jahren“. „Egoismus im Lande der Gartenzäume“ wäre treffender gewesen, wie „draußen fortgejagt – drinnen abgestoßen“ das eigentliche Thema des Abends. Aber man redete nicht weiter darüber. Schade, die Parallelen zur Gegenwart liegen offen auf der Hand. Gerold Paul

Gerold Paul

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