Filmgespräch über „authentische“ Kreuzbergkomödie „Alltag“ Eine verrückte deutsche Familie in einem durchgeknallten türkischen Viertel, darum dreht sich der Film „Alltag“ von Regisseur Neco Celik, ein Berlin-Kreuzberggeschichte, die am Dienstag beim 102. Filmgespräch im Filmmuseum Potsdam Thema war. Im Kinoprogramm 2002 konnte man den kaum besprochenen Streifen leicht überblättern, auf Festivals aber fand er bundesweit sein Publikum. Auf dem Podium saßen Regisseur und Hauptdarsteller und sprachen über deutsch-türkische Filme und darüber, wie man die Alltagskultur in Kreuzberg künstlerisch auf die Leinwand bringen kann. Er hat seine Jugend an der gezeigten Kreuzung Naunynstraße/Mariannenstraße in SO 36 verbracht, erzählt Neco Celik. Heute arbeitet er dort als Sozialarbeiter. Die Geschichten sind authentisch, sie sind ihm so erzählt worden, nur etwas überhöht hat er sie, dramaturgisiert und wie Puzzleteile zu einem Ganzen zusammengesetzt. Dabei heraus gekommen ist „Alltag“, der auf einen Tag, eine Nacht und eine Kreuzung komprimierte Streifen, der irgendwo zwischen Komödie, Krimi, Dokumentarspielfilm und Tragödie steht. Es geht um Veit, den Sohn einer verrückten Mutter und Reinigungsbetreiber, der sich in Aliya aus dem Wettbüro von gegenüber verliebt, die mit dem Schöntürken Jabbar zusammen ist. Es wird geraubt, gedealt, geschossen und auf Kumpel gemacht. Alle wünschen sich möglichst weit weg aus dem Viertel und ein neues Leben irgendwo im Glück. Nur brauchen sie dazu möglichst viel Kohle. Er ist ein Autodidakt, berichtet der Regisseur. Über eine Freundin mit Castingagentur kam er zum Film. Über sie stellte er Kontakt zur Branche her und begann die Kamera für sich zu entdecken. Zusammen mit Erham Emre alias Jabbar, einer der Hauptfiguren von „Alltag“, gründete er eine Produktionsfirma. Die beiden kennen sich seit sie kurze Hosen trugen, scherzt Erham Emre. Die Darstellerin der schönen Aliya, Neelesha BaVora, kennt Neco Celik erst seit den Filmarbeiten. Sie wurde über eine Agentur ausgesucht, studiert an der Potsdamer Filmhochschule Regie und nimmt das Schauspielern viel zu persönlich, erzählt sie, wahrscheinlich stehe sie deshalb beim Filmemachen lieber im Hintergrund. Aliya spielt für sie keine besonders eigenständige Rolle. Der Film erzähle eine Jungengeschichte. Sie habe ihren Part nur in Abhängigkeit zu den männlichen Figuren darstellen können. Dennoch hatte sie keine passive Rolle, wirft der Regisseur ein. Sie ist im Film gereift, hat sich zum Schluss zwischen zwei Männern entschieden und frei gewählt, an der Kreuzung in SO 36 zu leben, auch weiterhin, auch nach dem sie allein zurück bleibt. Ein Schluss, der wie eine Lehre daher kommt. „Abhauen bringt es nicht, woanders ist es auch nicht besser“, sagt der Regisseur. „Alltag“ ist der zweite Streifen von Neco Celik, der im türkischen Milieu spielt und sein zweiter Film überhaupt. Er will erzählen wie Chary Chaplin, sagt der Regisseur, das Publikum gleichzeitig zum Lachen und Weinen bringen. Mit dem Thema Türken und Deutsche ist er noch lange nicht fertig. Er hat eine Menge Geschichten in petto, über Einwanderung und Türken der ersten Generation in Berlin. Marion Hartig
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