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Von Lena Schneider: Damals hinterm Mond

Premiere am Hans Otto Theater: Bruno Cathomas nimmt mit „Lola“ die Ostalgie unter die Lupe

Stand:

Was sehen Sie, wenn Sie morgens zur Arbeit gehen? Aufbruch oder Gefahr? Mit dieser Frage stellt sich uns, dem Publikum, der neue Baudezernent (Bernd Geiling) vor. Groß, elegant, ein Zuversichtlichkeitslächeln im Gesicht, baut er sich an der Rampe auf. Aufbruch!, antwortet ein Zuschauer in der ersten Reihe, fast unhörbar. Sehr gut, lobt der Neue. Es ist ganz das, was er hier verbreiten will: Optimismus. Aufbau. Umstrukturierung. „Auch Scheitern kann ein spannender Vorgang sein“, weiß er noch zu verkünden. Dafür erntet er Lacher, und, als er schließlich abgeht, Szenenapplaus. Seinen Namen hat er uns noch hingeworfen, dieser Kommunal-James Bond: Bohm. Von Bohm.

In der Stückvorlage „Lola“ von Peter Märthesheimer, die nach dem Skript für den gleichnamigen Film von Rainer Werner Fassbinder entstanden ist, versucht Bohm, der jungen BRD den Nachkriegsmief auszutreiben. Was er erst langsam mitbekommt: Alle wichtigen Entscheidungen werden hier im Puff getroffen. Die Menschen in der Stadt sind nicht so gut und nicht so formbar, wie es notwendig wäre für seine Änderungen. Zudem verliebt er sich – ohne zu wissen, wer sie ist – in die Hure Lola. Am Ende ist Bohm ebenso gut im Verdrehen der Realität, wie die Stadt, die er verändern wollte.

Verdrängung, Nostalgie – eben diese Themen knöpft sich der Schweizer Schauspieler und Regisseur Bruno Cathomas in seiner „Lola“ vor. Den Plot hat er aus den Wirtschaftswunderjahren der BRD in die frühen neunziger Jahre der Ex-DDR verlegt. Der Gedanke dabei: Hier wie dort flüchtet man sich in Fernes oder Vergangenes, anstatt sich den Fragen der Gegenwart zu stellen. In den Fünfzigern bot der Traum vom Süden Zuflucht vor den Erinnerungen an den noch präsenten Krieg; in der Neunzigern schwappte die erste große Ostalgiewelle über die in der Realität der Nachwendezeit aufgeprallte „Ex-DDR“. Abgeebbt ist sie bis heute nicht – und hier knüpft Cathomas an.

So lässt er die Huren in seiner „Lola“ von der Melancholie einer halb gewünschten, halb als unmöglich erkannten Umkehr singen: „Als ich fortging, war die Straße steil / kehr wieder um / Nimm an ihrem Kummer teil / Mach sie heil“. Wie Andrea Thelemann, Meike Finck und Franziska Melzer den Ohrwurm von Karussell dreistimmig gurren, ernst, feierlich, in Tüll und Corsage: ein einprägsames Bild. Weil es von der Tristesse ihres Berufs erzählt, aber auch weil es jene Sentimentalität fühlbar macht – einlullend, verführerisch – die sich nach einer verlorenen Zeit sehnt, die doch so schön nie war. Da sind die Anekdoten aus DDR-Tagen, die Andrea Thelemann und Meike Finck immer wieder zum Besten geben, eigentlich nur noch illustratives Beiwerk.

Aber Cathomas setzt ganz auf die DDR-Karte. Karussell gibt nur den Auftakt einer ganzen Reihe von DDR-Hits. Als Bohm und seine Lola (Franziska Melzer) sich in einander vergucken, schmettern sie „Am Fenster“ von Silly, dazu regnet es Luftballons in Herzform. Dass Nostalgie jedoch nicht nur ein melancholisches und lustvoll kitschiges Gewächs ist, sondern ein widerspenstig, stachelig Ding, zeigt sich spätestens wenn Cathomas das Ensemble Frank Schöbels „Wie ein Stern“ schmettern und dabei durch den Saal tänzeln lässt, mit eingeblendetem Text zum Mitsingen. Er lässt Ostalgie feiern, bis das Fest zur Fratze wird – und führt zum bitteren Ende, was mit „Als ich fortging“ so reizvoll begonnen hatte. Bitter, aber konsequent: Gerade darum, um die korrumpierbare Kraft des Sentimentalen, mag es ihm gehen.

Um die Geschichte zwischen Bohm und Lola jedenfalls nicht – die wird zwischen den Liedern angedeutet und löst sich so schnell wie sie sich geknüpft hat – und auch Bohms hehre Ziele werden nur gestreift. Stattdessen rückt Cathomas die Figur der Mutter Lolas in den Mittelpunkt – und mit ihr, mit der großartigen Rita Feldmeier, eine zweite, tragikomische Ebene des Humors. Schon zu Anfang fegt sie, eine Putzfrau, brabbelnd den Staub des abbröckelnden Bühnenbildes zur Seite, schiebt die Kulissen hinein und wieder hinaus, macht später Bohms Gästen Schnittchen zurecht und weint bittere Tränen, als sie verschmäht werden. Neben der feiernden, singenden Puffgesellschaft tanzt sie, privat und ganz für sich, das Tänzchen der aufrechten Arbeiterin, die im dem Alltag abgeluchsten winzigen Moment der Freiheit ganz aufgeht.

Anders ihre Tochter Lola. Nie hat sie genug. Franziska Melzer ist eine undurchsichtige, stets über der Szene schwebende Lola; keine karrieregetriebene Spielerin wie bei Fassbinder, sondern unnahbar, einsam noch im größten Trubel. Einen Rest Verletzlichkeit ahnt man, sieht aber auch, dass diese Lola sich abgewöhnen musste, verletzlich zu sein. Wenn sie Schuckert (René Schwittay), Bauunternehmer und Zuhälter, auf dessen Wunsch im Bett auspeitscht, tut sie das rauchend, abwesend, mit den Gedanken schon woanders. Für ihren Liebhaber Esslin (Eddie Irle) hat sie so etwas wie Gefühl übrig – aber seine traurigen Gedichte genügen ihr nicht zum Leben. Auch Bohm bringt sie nur vorübergehend zum Tanzen. Fassbinder lässt seine Lola am Ende triumphieren, den sozialen Aufstieg schaffen und genießen. Diese Nachwende-Lola aber bleibt bei sich. Was sie sucht, scheint nicht vor, sondern irgendwo weit hinter ihr zu liegen. Das letzte Lied singt sie allein. Es ist von Element of Crime: „Damals hinterm Mond“.

Der Abend entlässt einen staunend, zweifelnd, auch ratlos. Er hat Schwächen: Die „Ach-damals“-Anekdoten gehören dazu, das Nummernshowhaft-Beliebige auch. Eine klare Antwort auf die Frage, warum Ostalgie nun eigentlich ein so beharrlich wucherndes Pflänzchen ist, gibt er nicht. Aber, und das ist letztlich viel wichtiger: Er stellt die Frage danach.

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