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Wider alle Widrigkeiten. Kaum hatte das diesjährige Literaturfestival lit:potsdam richtig begonnen, brach ein Gewitter los und die Gäste saßen im Regen. Doch Erfolgsautor Daniel Kehlmann (l.) machte, begleitet von Jörg Thadeusz (r.), aus einem Holperstart einen besonderen Abend.

© Patrick Plönnig

Eröffnung von "lit:potsdam": Daniel Kehlmann und seine Soldaten

Ein schlechter Festival-Auftakt bei lit:potsdam wurde verzaubert von der Literatur. Daniel Kehlmann las trotz strömendem Regen und war großartig.

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Das Wichtigste ist ja immer, dass überhaupt Text entsteht. Das sagt Daniel Kehlmann, einer also, von dem man nicht annimmt, dass er einfach so irgendwas schreibt. Einer, der „Die Vermessung der Welt“ geschrieben hat, der kritzelt doch nicht einfach etwas hin. Nur, damit der Tag nicht nutzlos verstreicht. Oder doch? Doch, sagt Daniel Kehlmann, als er am Freitagabend das diesjährige Literaturfestival lit:potsdam eröffnet. Der Zweifel sei immer da, jeden Tag wieder muss der Gedanke bezwungen werden, dass das alles nichts wird, dass es keinen neuen Roman geben wird, dass man einfach den Beruf verfehlt hat. Jeder, der ernsthaft schreibt, kennt das, aber es ist dann doch beruhigend, dass es auch Kehlmann so geht.

Und wenn es ihm so geht, sagt er, greift er eben zu diesem Trick. Einfach etwas schreiben, etwas, das niemand zu lesen braucht, das gleich von vornherein nicht den Anspruch erhebt, gut zu sein. Am Ende steht dann oft trotzdem etwas da, das zumindest überarbeitet werden kann.

Er beginnt mit Zweifeln

Ein bisschen so funktionierte auch der Freitagabend: Er beginnt mit Zweifeln. Wie elitär ist so ein Festival, das an einem zwar sehr schönen, aber auch sehr elfenbeinturmhaften Ort – der Villa Jacobs – eröffnet? Wer hierhin einlädt, der will den Pöbel lieber nicht dabeihaben, obwohl der doch vielleicht auch die Kunst liebt. So richtig erstklassig ist die Organisation dann aber auch nicht, das zeigt sich, als – genau in dem Moment, in dem Daniel Kehlmann zu lesen beginnen will – ein Gewitter losbricht. Was ja passieren soll, im Sommer. Was auch kein Problem wäre, wenn alle Gäste ein Dach über dem Kopf hätten. Die Villa aber bleibt verschlossen, und Zelte gibt es nur zwei. Der Rest der Besucher soll doch einfach Schirme aufspannen. Oder Kuchen essen.

Daniel Kehlmann aber bleibt bei seiner Methode. Und tatsächlich überlistet er damit nicht nur die Zweifel der Zuhörer, sondern auch die am Konzept von lit:potsdam. Es entsteht nicht nur Text, nicht irgendwas – sondern ein ganz großartiger Abend, was aber alleine an ihm, dem Zauber-Autor liegt. Weil er Witz hat und Wärme und weil seine Texte so lakonisch und amüsant und klug sind. Und weil selbst das Kapitel aus seinem großen Gelehrtenroman „Die Vermessung der Welt“ noch mal einen ganz neuen, leichten Klang bekommt, wenn er selbst daraus liest. Gauß und von Humboldt, die beiden Hauptcharaktere, werden durch seine Stimme zu genau den bräsigen, selbstgefälligen, sich anätzenden Wissenschaftlern, die man gerne nicht mag. Was auch daran liegt, dass er seine Worte in weichem Wienerisch dehnt, statt sie auf preußische Art im Mund zu zermalmen und zerkleinert auszuspucken – auch wenn er in München geboren ist und derzeit eher zwischen Berlin und New York pendelt.

Kehlmann ist vorsichtig - zunächst

Daniel Kehlmann liest also an diesem Abend, was er schreibt und spricht mit Jörg Thadeusz übers Schreiben. Und beginnt mit einem Kapitel, in dem Gauß und Humboldt über die Nutzlosigkeit von Kunst im Allgemeinen und Literatur im Besonderen lästern – einer der wenigen Punkte, in denen sie sich einig sind. Selbstironischer Kehlmann also, wie soll man da die Unbill des Umstände nicht vergessen. Man hört ihm zu und vergisst den Rest. Eben weil er selbst so ein Zweifler ist, einer, der sich selbst misstraut: „Man kann im Werk fast aller großen Autoren, die lange genug leben, die erfolgreich genug sind, diesen Moment sehen, wo sie anfangen, so zu arbeiten.“ So meint: in dem Wissen um ihren Erfolg. In dem Glauben, dass sie nicht mehr scheitern können. „Hier schreibt Thomas Mann, das ist wie: hier kocht der Chef“, sagt Kehlmann. In dem Moment geht natürlich die Kunst kaputt. Deshalb ist Kehlmann vorsichtig. Bis jetzt, zumindest.

Viele Roman, sagt er, hat er angefangen, ohne sie zu veröffentlichen. Einer war sogar schon fertig. Er hält sich nicht für den Chef – aber er ist ganz sicher ein Perfektionist, einer, der nichts preisgibt, womit er nicht zufrieden ist. „Das ist eine der wenigen Sachen, auf die ich stolz bin: dass ich meine schlechten Sachen schon als schlecht angesehen habe, als es noch einen Weg zurück gab.“ Wobei er auch ein bisschen Hilfe hatte. Bei seinem dritten Roman war es anders, erzählt er. „Da hatte ich ein bisschen ein schlechtes Gefühl, dachte aber: ich habe zwei Romane geschrieben, beide sind erschienen, hatten beide gute Kritiken. Ich kann das.“ Der Lektor von Suhrkamp schickte ihm ein Fax zurück. Der erste Satz: „Lieber Daniel, ich bin entsetzt.“ Das ist Jörg Thadeusz auch. „Wie konnte der so grob zu Ihnen sein?“ „Der wusste, ich kann das aushalten“, antwortet Kehlmann. Weil er eben wie jeder gute Schreiber ein Soldat ist, im Kampf mit sich selbst. Durchhalten kann, trotz Rückschlägen. Ein bisschen was davon hat er seinen Zuhörern am Freitag beigebracht. Allein dafür hat sich der Kampf mit der feindlichen Haltung des Festivals gelohnt.

Die Versuchungen des Internets

Ein harter Hund übrigens ist Kehlmann trotzdem nicht. Er kennt seine Schwächen. Die Versuchungen des Internets. „Menschen, denen es nicht immer ganz leicht fällt, sich zu konzentrieren – dazu gehöre ich auch –, haben es schwer, literarische Texte an einem Gerät zu verfassen, an dem einen nur zwei Klicks von der neuen Folge „Game of Thrones“ trennen.“ Da schreibt man und denkt doch: Ich könnte jetzt eigentlich mal nachschauen, ob Jon Snow wieder lebt.

Um menschliche Unperfektion in ihrer ganzen skurrilen Schönheit geht es auch im letzten Text des Abends, eine Szene aus Kehlmanns jüngstem Roman „F“. Ein Mann kommt da in den Beichtstuhl eines nicht weniger charakterschwachen Pfarrers. Ein obsessiv fremdgehender Steuerberater trifft auf den schoko-süchtigen Geistlichen. Beide werden, durch den Kehlannschen Filter gedreht, zu einem selbst, zu jedem von uns. Das Schlechte ist überall, aber das Schöne liegt mittendrin.

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