Kultur: Dann kann das Abendland untergehen
Der „Wunderkammer“-Utopist Andreas Schiller in friedlichem Größenwahn
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Etwas irreführend ist der Titel der Ausstellung von „Schiller & Friends“ in der Uhlandstraße schon: „Zwölf Apostelinnen“ nennt sich die Schau, die mit einem „Special“, den 3-D-Collagen von Tim Roeloffs, versehen ist und eben die „Zwölf Apostelinnen“ von Andreas Schiller verspricht.
Tim Roeloffs, einer der bekannteren Maler, die das gerade etwas vor sich hin dümpelnde Berliner Tacheles belebten, liefert zu den seriellen Malereien seines Kollegen Andreas Schiller ganz kleine Bilder. Diese sind in einer Art Kasten eingesperrt, als handele es sich um ein Aquarium. Sie zeigen in mehreren Dimensionen meist Berliner Impressionen. Alte Illustrationen und neuere Fotografien nutzt der Künstler, um sie zu einem dreidimensionalen Kommentar der Berliner Stadtentwicklung zu kombinieren. Da marschiert der rotbäckige kleine Kerl, der mit einem Rucksack, aus dem die Würste hängen, ganz vorne im Bild und schaut den Betrachter an, lässt sich aber von seiner Marschrichtung, die da Telespargel am Alex heißt, nicht abbringen. Irgendwo dazwischen stehen die Hackeschen Höfe. Auch das Tacheles thematisiert Roloeffs mit einer verblichenen Fotografie, auf der das marode ehemalige Kaufhaus noch stärker als Trümmerhaus wirkt als im wirklichen Leben. Davor schnellt ein Wolf im raschen Lauf auf den Betrachter zu – ein Schuft, wer Böses dabei denkt! Eine Berliner Type aus den 30er Jahren mit Streifenhose beschaut sich die glänzenden, in die Höhe wachsenden Skyscraper der Stadt und sagt als Inschrift laut vor sich hin: „Mensch wie haste dir verändert“. Es sind kleine, witzige Kommentare des Künstlers, der die Veränderung Berlins mit der Berliner Schnauze und hintersinnigen Bildkombinationen auf die Schippe nimmt.
Diese kleinen Arbeiten flankieren das immense Vorhaben des hierzulande als Apfel-Maler bekannt gewordenen Andreas Schiller. Der „Wunderkammer“-Utopist will alleine – oder mit seinen Schülern, seine Serie fortführen – die gesamte Welt vollmalen. Und alle Bilder sollen ähnlich aussehen, zwar werden sie verschiedene Inhalte haben, aber der Aufbau unterscheidet sich kaum und ist wieder erkennbar. Andreas Schiller sieht sich dabei als Medium, das die Bildinhalte von seinen Auftraggebern bestimmen lässt. Er will sich eigentlich ganz zurücknehmen und den gesamten Bildervorrat seiner Zeitgenossen einfach nur notieren.
Die „Zwölf Apostelinnen“, die in der Uhlandstraße versammelt sind, zeichnen sich dadurch aus, dass jeweils im rechten oberen Rechteck eine Frau aus dem Bild herausschaut, sonst allerdings haben diese Arbeiten wenig mit der Bibel gemein. In dem Fall mit der blonden jungen Frau, die aussieht wie die junge Hildegard Knef, handelt es sich tatsächlich um einen Filmfan als Auftraggeber. Die weiteren Symbole wie Marlene Dietrichs Blauer Engel oder die Metropolis-Figur und das Filmmuseum thematisieren auch allesamt die siebte Kunst.
Andreas Schiller, 1963 in Berlin geboren, studierte in Leipzig, Halle und in Tallin. Auf Leipzig beruft er sich zurzeit natürlich gerne. An der Hochschule für Grafik und Buchkunst habe er die Techniken der Alten Meister erlernt. So setzt er denn seine seriellen Bilder in der Ei-Tempera-Technik um, aus der die typische verblassende Farbigkeit resultiert. Auch die Kunst, konkret zu malen, wurde dort als Handwerk vermittelt. Mit Hilfe des „HomeWorld-2.0“, einer zweiten Welt, die ähnlich dem Second life eine virtuelle Parallelwelt schaffen soll und zurzeit in Halle an der Burg Giebichenstein entwickelt wird, will er der Utopie der unendlichen Serialität seiner ähnlichen Bilder eine virtuelle Realität verleihen. Ihm schweben eine Million Gemälde vor, bei denen er („und meine Schüler“) die Verantwortung des Bildinhalts an die Auftraggeber abgibt. Die Maler selbst agieren quasi als Malmaschine, die im Dienst der Abbildung aller Bildinhalte der aktuellen Menschen stehen. Wenn das geschafft ist, sagt der blond gelockte Mann ganz unbescheiden, kann das Abendland untergehen. So weit ist es Gottseidank noch nicht.
Die Bilder können nach telefonischer Vereinbarung bei Ronald Sima in der Uhlandstraße 6 besichtigt werden: Tel. 0331- 903714.
Lore Bardens
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