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Kultur: Das Bahnhofs-Beben

„Truesounds – The Station“ lässt den Bahnhof Pirschheide erzittern

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„Truesounds – The Station“ lässt den Bahnhof Pirschheide erzittern Von Christoph Henkel Einen sehr ungewöhnlichen Ort haben sich die Organisatoren Sebastian Heinzel, Ilja Kreyß und Jonas Kwaschik für ihr Partyprojekt „Truesounds“ ausgesucht: mit viel Schweiß und einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand wurde der Bahnhof Pirschheide partytauglich gemacht (PNN berichteten). Der ehemalige Hauptbahnhof, der mit der Wende gänzlich an Bedeutung für den Personenverkehr verlor, verkam in den letzten Jahren fast zu einem Geisterbahnhof. Am vergangenen Samstag wurde der Bahnhof aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Und das sehr lautstark. Aber das Erlebnis fängt unfreiwillig schon vor dem eigentlichen Event an. Um 22 Uhr ist der Vorplatz des Bahnhofs schon gut gefüllt, Fahrrad- und Autoparkplätze werden langsam rar. Ein langer Schlauch von Leuten schlängelt sich zum Eingang, aber es geht gar nichts. Dass Kreyß als Mitorganisator des „Melt! Festivals“ Erfahrung mit der Organisation von Massenevents hat, ist hier nicht zu merken. Völlig überfordert versuchen zwei junge Damen in einem kleinen Pavillon Geld zu kassieren und Stempel zu verteilen. Beim Publikum gewinnt eine gewisse Anstell-Anarchie die Oberhand. Der Vorplatz ist nun eine einzige große Traube, die gen Einlass drängt. Der Pavillon wackelt bedenklich. Geht es voran oder wird es einfach nur enger? Man weiß es nicht, tippt aber auf letzteres. „Wir wollen etwas in Bewegung setzen“ hat Ilja Kreyß vorab verkündet. Beim katastrophalen Einlass ist davon nichts zu merken. Viele nehmen es mit Humor (O-Ton: „Soll ja bis 10 Uhr in der Frühe gehen. Wir haben Zeit.“), andere nehmen es persönlich und ziehen enttäuscht wieder ab. Einmal im Inneren des Bahnhofs angekommen, wird man für das lange Warten entschädigt und kann das Stehen auf einem der vier Floors kompensieren. Die Bahnhofshalle wird von einer hohen Bühne dominiert, auf der bereits eine Crossover-Band krachend zu Gange ist. Die Band mittelmäßig, der Sound brummend, aber das Flair phänomenal. Der Charme, den der Bahnhof bei der Party ausstrahlt, ist beeindruckend. Insofern kann dem Team zur Wahl des Bahnhofs als Partyort nur gratuliert werden. Was bei Tageslicht Indizien für den fortgeschrittenen Verfall der Station sind, wirken nun im schummrigen Flimmerlicht als skurille Ausstattungselemente: zugemauerte oder vergitterte Fenster und Türen, Uhren deren letzte Zeigerbewegung Jahre zurückliegt und rostige Lampen. An den gekachelten Wänden haben sich Talentierte und auch weniger Talentierte an der Kunst des Graffitis probiert. Begibt man sich in den Westflügel, passiert man eine meterlange Bar mit Grill. Ein scheibenloser Fensterrahmen hat sich zum Ausstieg zur „Natur-Toilette“ und Einstieg für Eintritt-Sparer entwickelt. Es dauert einige Zeit bis sich die Securitis an abgesperrten Stellen positioniert haben, um die neugierig auskundschaftenden Partygänger in die richtigen Bahnen zu lenken. Der Westflügel wird durch einen dröhnenden Elektro-Dancefloor abgeschlossen. Das Wellblech wabert, die Leute tanzen ausgelassen und über den Köpfen blättert die Farbe von der Decke. Der Zugang zu den anderen Dancefloors ist genial geplant. Der Durchgang führt direkt unter der Bühne hindurch und leitet die Gäste durch Kunstnebelschwaden zu zwei weiteren Tanzflächen. Die erste wird von der „Irieye Soundcru“ beschallt, welche die Leute mit Dancehall, Ragga und Soca bei Laune und in Bewegung hält. Auf dem hinteren können die merkwürdigsten körperlichen Verrenkungen als Drum''n''Bass-Tänze gerechtfertigt werden. In der großen Konzerthalle wurde die Rockband inzwischen durch die Lokalmatadoren „The Ruffians“ ersetzt. Ein Live-Erlebnis der besonderen und extrem schweißtreibenden Art, wie jeder weiß, der „Potsdams tanzbarsten Exportartikel“ (Selbstbetitelung) schon live bestaunen durfte. Mit satten Ska-Klängen bringen „The Ruffians“ Bewegung in die alte Schalterhalle. Zu massivem Bläsereinsatz und dem sympathischen Gesang von Front-Rauhbein Johnny Sommer tanzt und hüpft das Publikum dankbar mit. Die fehlenden Toilletten im Inneren stellen sich im Laufe der Nacht als Problem heraus. Vielen ist der Weg auf den Vorplatz zu den Dixieklos scheinbar zu weit und sie verrichten ihre Notdurft in dunklen und leider manchmal auch nicht-dunklen Ecken in den Verbindungsgängen. Bis in die frühen Morgenstunden herrscht im Bahnhof tanzender Hochbetrieb. Dass die Party so gut angenommen wurde, lässt darauf hoffen, weitere feine Veranstaltungen aus dem Hause „truesound“ in Potsdam realisiert zu sehen. An geeigneten Orten fehlt es sicherlich nicht.

Christoph Henkel

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