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Kultur: Das Bild vom Opfer als Nachricht?

In der Friedrich-Ebert-Stiftung: Über den Umgang der Medien mit Verbrechensopfern

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In der Friedrich-Ebert-Stiftung: Über den Umgang der Medien mit Verbrechensopfern Von Dirk Becker Gewalt folgt uns auf Schritt und Tritt. Ob Tageszeitungen oder Fernsehnachrichten, ob Wochenmagazin oder Boulevardsendung, die Gewalt ist allgegenwärtig. Das gute Bild, die packende Story, sie garantieren die Quote. Und bei der Berichterstattung über Gewaltverbrechen heißt dies oftmals, ganz dicht dran zu sein, besonders schonungslos und damit oft auch rücksichtslos zu informieren. Doch dient das, was hier als Nachrichtenbeitrag angeboten wird, wirklich der reinen Information? Das Bild des Opfers, die detaillierte Beschreibung eines Verbrechens, wann hört die Nachricht auf, wo beginnt der Voyerismus? Am Montag, dem europäischen Tag des Kriminalitätsopfers, hatte die Friedrich-Ebert-Stiftung an die Universität in Griebnitzsee geladen, um über „Opfer der Medien ... ? Zum Umgang der Medien mit Verbrechensopfern“ zu diskutieren. Vor knapp sechzig Gästen eröffnete Werner Greve, Professor für Psychologie an der Universität Hildesheim, mit einer These der amerikanischen Essayistin und Romanautorin Susan Sontag, die im vergangenen Jahr mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, das Podium. In ihrer Veröffentlichung „Das Leiden anderer betrachten“ billigt sie nur den Menschen, wie beispielsweise Ärzten, das Betrachten von Bildern extremen Leidens zu, weil diese mit Hilfe der Bilder medizinisch arbeiten und damit Linderung versprechen. Alles andere Betrachten sei reiner Voyerismus. Greve fragte, welchen Wert es für eine Nachricht habe, Bilder prügelnder Jugendlicher im Fernsehen zu zeigen. Er sieht hier vor allem eine moralische Instrumentalisierung, die Gefahr, dass das Gezeigte zur Nachahmung animiere und das ein Opfer dadurch eine zweite Misshandlung erfahre. Ulf Morling, Gerichtsreporter für den Rundfunk Berlin-Brandenburg und Tagesspiegelredakteur Frank Jansen, der sich seit Jahren mit rechtsextremer Gewalt auseinandersetzt, betonten die Wichtigkeit von Bildern. Sie seien eindringlicher und der positive Effekt bestünde in der Sensibilisierung der Menschen vor allem hinsichtlich stärkerer Zivilcourage. Doch komme es leider immer wieder vor, das bei derartiger Berichterstattung moralische und ethische Grundsätze nicht beachtet werden. Rosemarie Priet von der Opferhilfe Land Brandenburg e.V. sprach sich für einen sensibleren Umgang der Journalisten mit Verbrechensopfern und gegen die eindeutige Täterorientierung in der Gerichtsberichterstattung aus. Hasso Lieber, ehemals Richter und nun Rechtsanwalt, betonte, dass dies nicht bedeuten dürfe, dass die Presse sich jetzt nur noch mit dem Opfer identifiziere. Wichtig sei hier ein differenzierte und unvoreingenommene Berichterstattung. Erst zum Ende dieser Veranstaltung, bei der alle Teilnehmer die Notwendigkeit einer Berichterstattung über Gewaltverbrechen betonten, wies Werner Greve darauf hin, dass die hier besprochenen Negativbeispiele nur einen verschwindend geringen Teil gegenüber der seriösen Berichterstattung ausmachen. Doch wie so oft erinnere man sich mehr an die Ausnahme als an den Regelfall. Trotzdem sei ein bewusstere Umgang mit den Opfern in den Medien unabdingbar, damit diese durch entsprechende Berichte nicht noch mehr verletzt werden. Denn der Einfluss dieser Berichterstattung solle nicht unterschätzt werden. Seit 30 Jahren, so Greve, gehen Verbrechen wie Mord oder Vergewaltigung immer mehr zurück. Doch Umfragen haben ergeben, dass die Menschen die Verbrechensrate in Deutschland sechs- bis achtmal höher schätzen als sie wirklicht ist. Die gezeigte Gewalt ist mittlerweile zur gefühlten Gewalt geworden.

Dirk Becker

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