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Kultur: „Das brauche ich, um glücklich zu sein“

Vorträge im Kutschstall schlagen Schneisen ins Potsdamer Geschichtsdickicht

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Über den Potsdamer „Chimborasso“, die „moskowitische Kirche" am Kanal oder die „rothen Grenadiere“ wissen die meisten „Ureinwohner“ längst Bescheid. Auch ein Neu-Potsdamer dürfte die Stadt mit ganz anderen Augen sehen, wenn er bei seinen Streifzügen durch die Gassen diese speziellen Geschichten aus der Geschichte mit einatmen kann.

Eine Vortragsreihe vom Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) und des Potsdam-Museums lädt ab 1. April dazu ein, mit der einstigen Residenz der preußischen Krone auf Tuchfühlung zu gehen. Vergangenes zum Appetit machen, wird vor allem den Geschichtseinsteigern gereicht: Und nach den Vorträgen dürfen sie die Referenten bei Kaffee und Kuchen auch noch um einen geistigen „Nachschlag“ bitten.

„Nach Potsdam, nach Potsdam! Das brauche ich, um glücklich zu sein!“ sagte einst Friedrich II. Für HBPG-Chef Gert Streidt der geeignete Slogan, um in die Reihe einzustimmen. Denn bei ihm gibt es erst einmal den großen Überblick von der Zeit des Kurfürsten bis ins Heute, wo die Schlösser- und Parkanlagen zum UNESCO-Welterbe gehören.

Thomas Wernicke, der die Reihe mit konzipierte, weist auf das spannende, wenig bekannte Thema der Bürgerkunst hin. „Seit dem 19. Jahrhundert gab es neben der vom königlichen Hof dominierten Kultur auch eine eigene Bürgerkunst. Im Fortunaportal des Stadtschlosses befand sich zum Beispiel eine kleine städtische Galerie“, macht Wernicke neugierig. Spannende Details dazu liefert dann im Vortrag Referent Thomas Kumlehn.

Zu Potsdams „Chimborasso“ adelte Ehrenbürger Alexander von Humboldt den Brauhausberg. Auch zu ihm und dem benachbarten Telegrafenberg werden Schneisen geschlagen. Und Hannes Wittenberg vom Potsdam-Museum ist wiederum dazu auserkoren, sich auf die Fährten der „Russen in Potsdam“ zu begeben, die bereits 1713 in der Garnison Fuß fassten. Hinter ihrer „moskowitischen“ Kirche, die ihnen der König zusprach,verbirgt sich nichts anderes als ein langer Stall, der sich einst neben dem Brockschen Palais befand, und in dem die Kürassiere ihre Ausrüstungen aufbewahrten. Nun durften sie in dieser Montierungskammer ihrem Glauben frönen. Russen hielten Potsdam lange die Treue – nicht immer zur Freude der Einwohner. Die 50-jährige Besatzung nach 1945 ließ eine Stadt in der Stadt heranwachsen. Kontakte zwischen den Bewohnern waren weitgehend unerwünscht.

Auf eine Symbiose von Bürgern und Soldaten wird Thomas Wernicke indes in seinem Vortrag „Preußens Sparta“ eingehen und er wird auch mit Klischees, wie dem täglichen Spießrutenlauf, aufräumen. „Die Soldaten waren das Wertvollste, was der König hatte. Die ließ er nicht so einfach totgeprügeln. Aber Strafen gab es natürlich schon, so wie in anderen europäischen Ländern auch. Wir dürfen nicht unsere modernen Vorstellungen auf die Geschichte transportieren.“

Als die Rotuniformierten in Potsdam einmarschierten, um sich als Mustertruppe für die gesamte preußische Armee zu formen, rückten sie auch dicht an die Bürger heran, bis in ihre Stuben hinein: Sie wohnten aber nicht, wie die Legende berichtet, in den Dachkammern, sondern im Erdgeschoss. Schließlich mussten sie bei Alarm möglichst fix sein. Wenn sie in kriegsfreien Zeiten nicht gerade exerzierten, ins Manöver zogen oder Wachdienst verrichteten, verdienten sie sich in der restlichen „Urlaubszeit“ in Manufakturen und auf dem Bau ihr Geld. Viele Eichenpfähle, auf denen Potsdams Häuser ruhen, wurden von ihnen ins Wasser gerammt.

Gleich, wenn ein Neu–Potsdamer sich im Stadthaus anmeldet, wird ihm ein Prospekt von diesen Geschichtsvorträgen in die Hand gedrückt. Und so kann auch er demnächst als Eingeweihter Potsdams „Chimborasso“ besteigen. Heidi Jäger

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