Kultur: Das Dahinter
Der Fotokünstler Steffen Mühle zeigt ab morgen im Kunstraum seine Film-Ausstellung „Zelluloid“
Stand:
Über die heißen Küsse ziehen sich spröde Risse. Stars haben Einschüsse im Kopf. Irritation statt heile Glitzerwelt. Steffen Mühle kratzt im 100. Jahr des Films am Lack der Traumfabrik, ohne ihn ganz in seiner Magie zu zerstören. Seine Ausstellung „Zelluloid“, die am morgigen Samstag im Rahmen von „Stadt für eine Nacht“ im Kunstraum eröffnet wird, spielt eine doppelbödige Rolle. Der Potsdamer Fotokünstler belichtet und überblendet das Material Film, um in tiefere Schichten vorzudringen.
So sehen wir in dem Fries der Küsse Leidenschaft und Verzückung, die wir von Romanzen erwarten. Plastisch schälen sich die aneinandergeschmiegten Lippen der nicht benannten Filmstars schmachtend hervor. Doch über die goldglänzenden Münder liegt ein Fließ, der die Idylle überhöht und sprengt. Wenn bei Steffen Mühle der Spot angeht, werden Ikonen demontiert und nicht noch höher auf den Sockel gehoben. „Früher war ein Kuss nur ein Kuss. Durch den Film ist er zu einer außergewöhnlichen Geschichte geworden“, sagt Steffen Mühle. Seine auf Aluminiumplatten gedruckten Fotoarbeiten zeigen unwirkliche Gesichter: anziehend, irritierend, rätselhaft. Doch wie in einem guten Krimi bleibt man ihnen auf der Spur.
Für seine Ausstellung hat Steffen Mühle das Fotoarchiv des Filmmuseums Potsdam gesichtet. Eigentlich suchte er nach Fotos, die am Rande der Dreharbeiten entstanden sind und die Szenerie abseits der Perfektion beleuchten. Doch was dem Mythos nicht dient, wurde auch nicht gesammelt. Dennoch hob er Schätze, wie einen Archivfilm über Potsdam aus den 20er Jahren. Auf dem Filmmaterial mit Potsdamer Sehenswürdigkeiten waren Zahlen zu lesen, die für gewöhnlich weggeschnitten werden und nur dem Schnittmeister zur Orientierung beim Aneinanderkleben von Einstellungen dienen. Hier kam es offensichtlich nicht zum Schnitt. Steffen Mühles Instinkt für spannende Kompositionen war sofort geweckt. Abbildungen der Garnisonkirche, von der Langen Brücke oder vom Stadtschloss sind zu sehen: doch man erahnt sie mehr, als dass man sie richtig erkennt. Die Veduten sind verstellt, schälen sich nur hintergründig heraus. Wie auf dem Bild „21“, betitelt nach der Bezifferung des Schnittmeisters. Eine Landschaft zum Versenken, in der man sich wie die Boote auf der Havel vor dem Babelsberger Park treiben lassen kann. Vor die romantisch sonnige Kulisse schiebt sich indes eine von klirrender Kälte durchfurchte Winterlandschaft. Das mit der hohen Kunst der Fototechnik „gemalte“ Bild, das Schwarz-Weiß in Farbe taucht, lebt von der Widersprüchlichkeit, dem Nicht-Fassbaren.
Steffen Mühle geht es um verschiedene Deutungsmöglichkeiten, keineswegs um Illustration. Immer wieder „tapeziert“ er seine Bilder mit Blümchentapeten, die mehr sind als dekorative Versatzstücke und nichts zukleistern. „Ich habe eine Schwäche für Tapeten“, sagte er witzelnd beim gestrigen Presserundgang, „vielleicht aus Erinnerung an meine Kinderzimmer-Zeit.“ Blümchentapete ist für ihn der Inbegriff für Spießigkeit und Kleinbürgertum und auch für Aggressivität. „Die meisten Morde passieren schließlich im Wohnzimmer.“ Und wenn er die Garnisonkirche in seine Tapetenwelt hineinstellt, ist das alles andere als eine plüschige Attitüde. Steffen Mühle ist messerscharfer Analytiker, der seziert und montiert, bis er alten Bildinhalten neue Assoziationen abgerungen hat und das Dahinter sichtbar wird.
Der im März verstorbenen Filmdiva Liz Taylor hat er gleich einen ganzen Raum gewidmet. „Ich finde sie cool.“ Doch man muss auch hier genau hinschauen, um die Schauspielerin überhaupt zu erkennen. Man sieht in sieben verschiedenen Aufnahmen nur ihre aufreizenden Dekolletes und ihr Gesicht schemenhaft hinter einer durchlöcherten Zielscheibe. „Stars zahlen einen hohen Preis für ihren Ruhm, sie kommen nicht unbeschadet davon. Es gibt Verletzungen und Einschüsse“, erklärt er seine Auseinandersetzung mit dem Blendwerk des Scheins.
Noch ist seine Traumfabrik nicht fertig gebaut, winden sich kilometerlange Filmschlangen auf dem Boden des Kunstraums. Bis zur Vernissage werden aber auch sie zu Wänden seines „Kinos“ gespannt sein. Die raumfüllende Installation aus zehn Kilometern Originalfilmware, mit Licht und Ton gefüllt, soll den Film räumlich erlebbar machen. Die Filmstreifen hat Steffen Mühle bei Ebay ersteigert. „Es sind nicht die berühmten Klassiker, die wären unerschwinglich gewesen.“ So blätterte er nur 50 Euro für die No-Names hin. Aber die Reize dieses lichtdurchlässigen schwarzen Raumes aus 35-Millimeter-Filmstreifen flimmern ohnehin als ganz eigene Geschichte in die Ausstellung. Und die führt auch in die Kindheit von Steffen Mühle zurück. „Ich bin mit dem Film groß geworden. Mein Vater war Kameramann. Bei uns lag immer Filmmaterial herum.“
Wenn man von der oberen Etage auf die ebenerdige Installation herunterschaut, wirkt sie wie eine riesige alte Filmkamera. Dazu ist das Surren eines Projektors zu hören. Trau, schau, wem.
Eröffnung von „Zelluloid“ am Samstag, 9. Juli, 19 Uhr. Tänzer der Oxymoron Dance Company und Schauspieler des Hans Otto Theaters gestalten eine choreografische Installation zu der Ausstellung. Um 21 Uhr führt Steffen Mühle durch seine Film-Schau.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: