zum Hauptinhalt

Kultur: Das Dilemma des Ortes

Robert Thalheim kam zum Filmgespräch ins Thalia

Stand:

„Am Ende kommen Touristen“, lautet der Titel des neuen Films von Robert Thalheim, den der Regisseur am Montag im Potsdamer Thalia-Kino vorstellte. Beim anschließenden Gespräch mit dem Regisseur und dem Hauptdarsteller Alexander Fehling gab es viel Lob und kaum Kritik. Seit seinem preisgekrönten Underdog-Drama „Netto“ gilt der Absolvent der Babelsberger Filmhochschule als cineastisches Hoffnungslicht. Der neue, mit rund 600 000 Euro geförderte Film versucht, sich einem deutschen Brandmal, Auschwitz, zu nähern. Dafür wählte Thalheim, der Buch und Regie verantwortet, die Perspektive eines jungen Mannes, der seinen Zivildienst in der internationalen Jugend-Begegnungsstätte Auschwitz leistet. Da er keine Drehgenehmigung für die Gedenkstätte erhielt, habe er einen „Auschwitz-Film ohne Bilder von Auschwitz“ gedreht, sagte Thalheim. Ihm sei es auch um „die Perspektive gegangen, die den Leuten entspricht, die dort wohnen“ und um das „Dilemma“ des Ortes, museal und so viel besucht zu sein.

„Was hat die deutsche Vergangenheit mit mir zu tun?“, scheint auch die Hauptfigur Sven zu fragen. Gegen seinen Wunsch ist er in der kleinen polnischen Stadt namens Oswiezim gelandet. Ihm geht es nur darum, seinen Dienst nach Vorschrift abzuleisten. Doch irgendwann kommt auch für ihn der Moment, wo er sich mit der Geschichte auseinandersetzen muss. Sie begegnet Sven in Gestalt von Herrn Krzeminski, einem ehemaligen Lagerinsassen und aktiven Zeitzeugen. Dieser Krzeminski, ein rauer alter Kerl, eckt überall an, manche wollen ihm nicht mehr zuhören. Als einziger zeigt Sven ein gewisses Verständnis für den alten Herrn. Doch das Umfeld aus Bürokratie, Gleichgültigkeit und Vergangenheitsbewältigungsroutine gibt diesem den Rest. Ryszard Ronczewski spielt das erlittene Unrecht, den Gram und die immer noch lodernde Wut mit der fantastischen Schauspielkunst eines veritablen Charakterdarstellers. Dass selbst er sich letztlich den Verhältnissen beugen muss, hat er nicht verdient. Gegen diesen vitalen, bitteren, kompromisslosen Achtzigjährigen wirken die anderen Darsteller blass, was wohl rollengemäß ist. Nur die süße, junge Barbara Wysocka zeigt in der Rolle der Ania viel weibliche Energie. Sie arbeitet als Fremdenführerin in Auschwitz und kämpft um ihre Zukunft. Ihr Ziel ist Brüssel, daneben bleibt selbst die zarte Beziehung zu Sven zweitrangig.

Bei seinem Bemühen, die Gegenwart von Auschwitz/Oswiecziem einzufangen, gelangt „Am Ende kommen Touristen“ nicht immer über Pauschalisierungen und Klischees hinaus. Und tritt in selbst aufgestellte Fettnäpfchen, etwa dann, wenn der Ausbildungsleiter einer deutschen Firma davon spricht, wie die Polen alles heruntergewirtschaftet hätten. Man möge dies nicht als Kritik an Polen verstehen, bat Thalheim in der anschließenden Diskussion, sondern als Kritik am deutschen Firmenvertreter. Auch der trinkende, polnische Rocksänger, der nicht gern zur Arbeit geht, sei eher ein Typ, wie er ihn selber schätzen würde. Solche nachträglichen Erklärungen zu einem Spielfilm wirken zwiespältig.

Der alte Krzeminski gibt auf, Barbara geht weg, nur Sven entschließt sich nach einem Abbruchsversuch, seine Arbeit dort zu beenden. Ob nun tieferes Verständnis oder deutsche Pflichterfüllung zu dieser Entscheidung geführt hat, erfährt man jedoch nicht. Trotzdem erhält Sven prompt ein dickes Lob von einem Lehrer, der seine Klasse in die Gedenkstätte führt. Sind das die „Touristen“, von denen der Titel redet? Eigentlich wollte er den Film „Oswiecim“ nennen, sagte Thalheim, „aber weil das keiner aussprechen kann“, habe er sich dagegen entschieden. Der jetzige Titel bezieht sich auf ein Gedichte von Björn Kuligk, die nichts mit dem Filmthema an sich zu tun hätten, allenfalls atmosphärisch. Ein nachdenklicher Film, der aber zu sehr im Vagen bleibt. Eine Zuschauerin fand ihn „auf raffinierte Weise undidaktisch“, doch man könnte ihn besser „auf raffinierte Weise didaktisch“ nennen.

Babette Kaiserkern

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })