Kultur: Das Drama hinter der Thujahecke
Bilder, die bleiben: Ein Destillat als Jahresausbeute. Kultureller Rückblick auf 2011 – 1. Teil
Stand:
Was bleibt sind wenige Bilder: ein Destillat als Jahresausbeute. Ohne in den Zeitungsannalen 2011 nachzublättern, gibt die Erinnerung ganz ungefiltert ihre Ablagerungen preis. Farbspiele, Schattenwürfe, Sequenzen eines Theater- oder Tanzabends. Oft Beiläufigkeiten, die sich erst im Abstand behaupten und den ganz eigenen Streifen im Jahr des Films entstehen lassen.
Da ist die Ausstellung im Kunstraum „High Speed, Slow Motion“, die den Geschwindigkeitswahn thematisiert. Überall im Raum ist das donnernde Geräusch eines durch die Landschaft bretternden Zuges zu hören. Nerviges Dröhnen. Doch dann lenkt ein sich sanft bewegender transparenter Vorhang von dem Höllenlärm ab: schlicht an die Wand projiziert als meterhohes meditatives Kleinod. Wie ein überraschtes Kind steht man staunend vor diesem Fast-Nichts und meint einen leisen Wind zu verspüren. Das Getöse des Hightech-Zuges ist für einen Moment ausgeblendet.
Vom Hans Otto Theater bleibt unter der Vielzahl bestechend-beklemmender und gelöster Momente vor allem ein Bild aus „Endstation Sehnsucht“ haften: Wie die zarte und doch so kraftvolle Melanie Straub als alternde Schönheit Blanche mit blutender Seele an die breite Brust von „Mitch“ (Raphael Rubino) trommelt: ihrer letzten Hoffnung auf Liebe. Man spürt sie fast am eigenen Körper: die Verzweiflung einer von der Vergangenheit immer wieder eingeholten, ins Bodenlose stürzenden Frau. Mit Melanie Straub und Raphael Rubino sind zwei neue Schauspieler ans Theater gekommen, die das Ensemblespiel trefflich mit ausreizen. Das stellen sie auch bei der letzten Premiere 2011 – „Das Schlangenei“ – mit sanfteren, nicht weniger eindringlichen Tönen unter Beweis.
Wenige 100 Meter weiter die Havel hinauf wird Krieg gespielt, der nicht nur die Seele tötet. Die Künstlerische Leiterin des Theaterschiffs, Martina König, wagt sich an das politisch aufgeladene Thema Afghanistan und bricht es auf ein sehr menschliches Maß herunter. Was macht der Tod des Geliebten in der Ferne mit den Daheimgebliebenen, hinter der Thujahecke, „34,5 cm neben dem Glück“? Der Hindukusch rückt einem in dieser intimen Inszenierung in der Enge des Schiffbauchs förmlich auf den Leib. Das unheilschwangere Telefonat zwischen dem Soldaten und seiner wartenden Frau vor dem letzten Einsatz bleibt haften. Auch wenn die schunkelnde Spielstätte auf der Alten Fahrt hinter den Baustellenkränen des Stadtschlosses fast unterzugehen droht, hat sie sich doch in ihrer neuen Ausrichtung bereits stückweit ein neues Publikum erobert.
Wenn man abends den Kahn verlässt und von der Langen Brücke herunterschaut, offenbart sich noch ein ganz anderes Lichtzeichen: ein Gruß vom Pavillon auf der Freundschaftsinsel, der in seiner Ausstellung „Hello China“ mit geometrisch-gemalten Großkalibern von Frank Nitsche in die Nacht hinein strahlt. Grüne Signale in der winterlich erstarrten Natur. Mit dieser Großskulptur, die den Pavillon scheinbar mondsüchtig verlässt, hat sich der Brandenburgische Kunstverein nun wohl als durchaus geeigneter Betreiber des Pavillons sinnkräftig ausgewiesen. Der Wind bläst den Neuen aber noch immer entgegen: vor allem vom Insel-Verein, der zuvor für bodenständigere Ausstellungen sorgte. Nun wird der Acker umgepflügt und auch mal mit „Disteln“ bestellt. Eben mit zeitgenössischer Kunst, die oft als stachlig und unzugänglich empfunden wird. Doch alles braucht seine Zeit, um zu wurzeln und zu greifen. Potsdamer Künstler findet man nun statt im gläsernen Eiland-Kasten vor allem unter den niedrigen Decken des Denkmals „Haus zum Güldenen Arm“. Doch die vom Kulturbund organisierten Ausstellungen in der Hermann-Elflein-Straße sind bislang viel zu wenig beworben und strahlen so kaum in die Stadt hinein.
Umso erfreulicher, dass die Schiffbauergasse insgesamt enger zusammenrückt. Da gibt es die theatralen T-Werk-Paukenschläge beim Festival „Unidram“ mit schwindenden Grenzen zwischen Theater und Tanz auf mehrere Häuser verteilt. Und auch die „fabrik“ bietet in ihrem 21. Jahr Tanzofferten in bewährt vielschichtiger Weise. Zwar ist sie inzwischen nach dem Auslaufen des „Art in Residence“-Programms personell und in ihren Angeboten zusammengeschrumpft, überrascht aber dennoch, die Welt choreografisch vermessend, mit Meistertänzern aus Norwegen ebenso wie aus Japan. Baumhoch schlägt die Schweizer Companie Loutop im „fabrik“-Garten mit „Attache“ sommerliche Fantasieräder: open air im Kampf gegen die Mücken. Doch die bleiben angesichts der virtuos-atemlosen Verführung bald unbemerkt auf der Haut. Wenigstens die „fabrik“ stopft so das Sommerloch in der Schiffbauergasse für eine Woche zu: Mit Fantasieakrobatik, die das Menschliche berührt.
Ideal, wenn sich zur Kultur eine Kulisse gesellt, wie sie der Tiefe See freigiebig liefert. Das bringt Tausende Potsdamer auf die Beine, wie bei der „Stadt für eine Nacht“, in der Alt und Jung gemeinsam auf der Bühne tanzen. Künstler und Kunstgenießer vereint zwischen futuristischen „Zelten“: wie ein Wink in die Zukunft. Mehr davon, möchte man rufen und bekommt sofort einen Dämpfer. Auch 2012 wird es kein seeluftatmendes großes Sommertheater geben, reicht das Geld nur für eine Inszenierung im blickverstellenden Blechrund des Gasometers. Die ersehnte Sommerbühne des Hans Otto Theaters direkt unter den roten Theaterwedeln mit weitem Blick auf den Babelsberger Park lässt weiter auf sich warten.
Immerhin ist die Waschhaus-Tanzgruppe „Oxymoron“ schon mal trotz Gegenwind aus eigenem Haus erfolgreich „fremdgegangen“ und hat die Seebühne mit „Romeo meets Julia“ getestet. Auch die Liaison mit Hans Otto Theater und T-Werk sollte weiter genährt werden. Wo sonst, wenn nicht hier in enger räumlicher Nachbarschaft müssen Denk-Zäune fallen. Grenzen ausschreiten, ohne den eigenen Anspruch zu verwässern.
Die letzten Bilder des Jahres, die sich im Kopf verhaken, bietet die lautmalerische Kintopp-Utopie „Yederbeck“ der Babelsberger Filmhochschule (HFF) irritierend-verstörend in der Schinkelhalle. In sie fließt alles hinein, was kunstzaubernde Visionäre genreübergreifend vermögen. In diesem temporären Rundkino verschmelzen und überlagern sich Bilder und Töne zwischen Schein und Sein. Es fällt schwer, sie festzuhalten. Und doch bleibt ein Kanon, der die Jahresausbeute klangvoll unterlegt. Träume ergründen, ohne sie zu zerstören, das vermag dieses Filmjahr, und auch die neue Dauerausstellung des nun mit der HFF verbandelten Filmmuseums lädt spielerisch dazu ein. Die Stadt ist enger zusammengerückt – auch wenn es hier und da knirscht.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: