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Noch verhüllt: Neun Figuren sollen den Lebenskreis des Menschen vom Baby bis ins Alter symbolisieren. Rapunzel Bräutigam plädiert in der Performance und Ausstellung Parallelwelten für Entschleunigung.

© Manfred Thomas

Von Heidi Jäger: Das Feuerpferd

„Parallelwelten“ im Museum Fluxus+: Die Skulpturen von Rapunzel Bräutigam sollen für Ruhe stehen

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In China fürchtet man sich vor Frauen, die im Jahr des Pferdes geboren sind. Sie gelten als sehr selbstbewusst. Rapunzel Bräutigam fühlt sich indes von ihrem „Feuerpferd“, auf dem sie laut Horoskop seit 1966 „reitet“, bestens getragen. Sie lebt die eigene Individualität und fühlt sich gerade durch die Stärke der Weiblichkeit als zufriedener Mensch. Viele Wege ist sie gegangen, bis sie sich diese Zufriedenheit erarbeitet hat, sagt die Keramikerin, die unter Kunst mehr versteht als Vasen und Tassen in Vitrinen. Sie hat sich mit den Urformen der Kunst beschäftigt, mit dem spirituellen Tanz der Priesterinnen ebenso wie mit griechischen Mysteriendramen. Für sie lebt die Kunst vor allem aus dem Verbindenden.

Ihre neun Skulpturen, an denen sie gerade in ihrer kleinen anheimelnden Remise im Hinterhof in der Gutenbergstraße arbeitet, sind noch in Plastiktüten gewickelt. Auch für ein Foto werden sie nicht freigegeben. „Das könnte Unglück bringen“, sagt die zarte Frau mit den langen Haaren, die ihrem (richtigen) Namen alle Ehre machen. Die Verhüllung der Figuren fällt erst am Freitag im Museum Fluxus+, wenn die Ausstellung „Parallelwelten“ mit einer Performance ihren Anfang nimmt. Vier Künstler sind daran beteiligt, die das männliche und weibliche Prinzip aufeinander treffen lassen: die polaren Kräfte des Lebens.

Der Raum wird an diesem Abend mit den Schwarz-Weiß-Grafiken des Grazer Künstlers Dieter Puntigam tapeziert, die er per Computer mit Lichtbildern „überzeichnet“ und in Bewegung bringt. Dazu gibt es sphärische Klänge von David Timm, zu dessen „Percussion mit Herzschlag“ die Tanzperformerin Bea von Schrader langsam einem netzartigen Kokon entschlüpft, wie bei der Geburt. Und damit kommt Rapunzel Bräutigam ins Spiel: Nacheinander trägt sie ihre Figuren in den Raum und stellt sie auf, den Lebenskreis vom Baby bis ins Alter durchschreitend. Ein Vierteljahr werden die archaischen Frauenfiguren auf ihrem Museumssockel stehen und auf Entschleunigung beharren. Als Hüterinnen der Erde. Rapunzel Bräutigam ist es wichtig zu zeigen, welche Kostbarkeit in der Langsamkeit liegen kann. „Jeder Mensch braucht eine bestimmte Zeit, um sich zu entwickeln. Allein die Schwangerschaft benötigt neun Monate, das Laufenlernen ein Jahr.“

Sie selbst ging ihre ersten Schritte in Leipzig in einer Kantorenfamilie. Ihre Eltern gaben die Freude am Musizieren an die drei Töchter weiter. Doch so gerne die kleine Rapunzel am Klavier saß, die Bildende Kunst nahm noch mehr von ihr Besitz. Vielleicht war es die Klassische Moderne, die überall an den Wänden der Wohnung hing, die sie inspirierte. Das Mädchen besuchte einen anthroposophischen Malzirkel und legte damit einen Lebenskreis an, in den sie wieder eintrat, als sie vor zwei Jahren mit der Ausbildung zur Waldorf-Kunstlehrerin begann. Ihr „Inneres Kind“ aus Alabaster , das sie zum Abschluss formte, zeigt sich ungeschützt in die Welt hinaustretend, doch mit tiefen Wurzeln.

Gern würde die 43-Jährige künftig nicht nur als freie Malerin und Keramikerin arbeiten, sondern sich auch an eine Schule binden: als Brücke zwischen Kind und Welt künstlerisch vermitteln. „Das wird sicher eintreffen. Denn was ich in die Welt hineinrufe, kommt irgendwann zurück“, so ihre Erfahrung, die sie auch spirituell ständig erweitert. „Mich interessieren Dinge jenseits des Alltags. Ich möchte durch Kunst, Himmel und Erde zusammenbringen.“ Wie vor zwei Jahren, als sie fünf Meter hohe Engelsflügel formte, auf denen 300 Kinderwünsche in der Pfingstkirche Potsdam ihren Platz fanden. Kirchlich geprägt aufgewachsen, lernte Rapunzel Bräutigam sehr früh, gegen Mauern anzugehen. Sie fühlte sich in der DDR oft eingeengt und engagierte sich später in Aktionen von „Frauen für den Frieden“.

Das war, nachdem sie in Potsdam aufs Evangelische Gymnasium Hermannswerder gegangen war und mit ihrem kirchlichen Abitur nichts außer Theologie studieren durfte. Was sie nicht wollte. Stattdessen arbeitete sie in verschiedenen Keramikwerkstätten im Brandenburgischen. Mit Beginn ihrer Schwangerschaft zog es sie als 23-Jährige ins heimatliche Leipzig zurück, wo sie an jeder Montagsdemo an der Nikolaikirche teilnahm. Erst als sie mit ansehen musste, wie ein Polizist in den Bauch einer Schwangeren trat, nahm sie Abstand vor der Gefahr. Mit der Geburt ihrer Tochter im August 1989 begann alsbald das Ende der Enge. Nun durfte auch sie studieren, was sie wollte. Die junge Mutter ging nach Halle auf die Burg Giebichenstein, lernte dort neben der Bauhaus-Strenge die freie Bildhauerei. Mit der Sehnsucht nach der großen weiten Welt begann sie ein Praktikum bei einem Keramiker in der Nähe der französischen Stadt Montpellier. Nun mit inzwischen zwei Kindern an der Seite. Sie vertiefte ihr handwerkliches Können und erweiterte meditativ den Horizont. Und wieder fand sie eine Gemeinschaft, als sie mit Dieter Puntigam in der Nähe von Wien arbeitete, ihre Drehscheibe und Brennofen im Gepäck. Auf jedes ihrer Gefäße malte sie Wesen in der Landschaft: „Das Ich in der Welt“.

Schon damals spürte sie die Faszination, wenn verschiedene Kunstgenres ineinandergreifen. Als sie vor zwei Jahren mit Dieter Puntigam im Potsdamer Café Backstoltz saß und im Laden gegenüber die Aufschrift „Fluxus“ las, spulte sich sofort ein Film vor ihrem inneren Auge ab. „Ich dachte an die Performance von Yoko Ono, die ich sehr mochte und mit Fluxus verband.“ Die damals angeschobene Fluxus-Liaison findet nun in der Schiffbauergasse ihre Vollendung. „Doch die letzte Antwort auf die Ausstellung müssen die Besucher geben. Vielleicht rührt unser Angebot an ihr eigenes Geheimnis.“

Die „Parallelwelten“ gehen ganz bewusst mit der Vergänglichkeit um. Was nicht verkauft wird, kommt zur Finissage im Mai in die Tonne und wird verbrannt. Auch Rapunzel Bräutigams Figuren gehen durch das Feuer, wie der Mensch durch die Prüfungen des Lebens. Und wenn alles gut geht, wird er dadurch gefestigt. So wie die Künstlerin, die heute sagen kann: „Ich bin ein zufriedener Mensch“.

Eröffnung „Parallelwelten“ am Freitag 19 Uhr im Fluxus-Museum, Schiffbauergasse; Rapunzel Bräutigams Werkstatt Ton-Art ist immer freitags 15 bis 18 Uhr geöffnet, in der Gutenbergstraße 96.

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