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Kultur: Das Gefühl, unterlegen zu sein

In der „fabrik“-Reihe „Meisterchoreografen“ ist heute das Ingun Bjørnsgaard Prosjekt aus Oslo zu Gast

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Edvard Munchs Lithografie-Serie „Alpha und Omega“ war der Auslöser. Diese 1905 in der Psychiatrie gezeichneten Bilder erzählen von einer Frau, die auf einer Insel mit allen Tieren Sex hat. Auch Alpha gibt es dort, den Mann. Doch der ist der Kraft von Omega unterlegen. Was der manisch-depressive Munch mit feinem Strich in der Kopenhagener Klinik zeichnete, war für die norwegische Choreografin Ingun Bjørnsgaard Anregung, das vielschichtige Verhältnis von Frau und Mann weiterzudenken. Ihr Stück „Omega and the Deer“ (Omega und der Hirsch), das am heutigen Mittwoch in der „fabrik“-Reihe „Meisterchoreografen“ zu sehen ist, spürt beispielsweise nach, was passiert, wenn Frauen Männern das Gefühl geben, unterlegen zu sein. Da gibt es eine Szene, in der eine Tänzerin mit sehr langen schlanken Beinen schon physisch den Eindruck vermittelt, dass sie den Mann nur benutzt und wegstößt. Andererseits braucht sie ihn, um abzuheben und in ihrem Tanz nach oben zu fliegen.

Anders als bei Munch findet dieser hochemotionale Geschlechterkampf nicht auf einer Insel, sondern an einem Ort statt, an dem sich Stadt und Landschaft überlappen, an einem Sehnsuchtsort. Bühnenbildner Thomas Björk, der seit etwa 15 Jahren immer wieder mit Ingun Bjørnsgaard zusammenarbeitet, hat die vertikalen Linien, die den Wald auf Munchs Bild markieren, dabei aufgegriffen. In seinem Wald als Ort des Verschwindens und der Auferstehung hängen Blättergirlanden senkrecht von der Decke herab. Und mittendrin steht ein Tisch in DIN-Norm als Abbild für das Zivilisierte, von Menschenhand erbaute. Dieser Tisch dient zur Arbeit und zum Essen, ist aber auch Höhle und Versteck. „Das Bühnenbild im Tanz muss offener sein als im Theater: ein Inspirationsraum für Tänzer und für die Vorstellungskraft der Zuschauer, die nicht verstellt werden darf“, so Thomas Björk, der oft bis wenige Minuten vor der Premiere mit dem Ensemble genau abwägt, welches Objekt wirklich notwendig ist, um die Choreografie einzubetten.

Während Ingun Bjørnsgaard bereits wieder kurz vor der Premiere eines neuen Stückes am Norwegischen Nationalballett in Oslo steht und nicht mit nach Potsdam reisen konnte, feilt ihr Kollege bis zur letzten Minute am Bühnenaufbau. Gerade kommt die Companie vom „Radialsystem“ Berlin, um nach den beiden Aufführungen in Potsdam zur Kampnagel-Theaterfabrik nach Hamburg weiterzureisen.

Das „Ingun Bjørnsgaard Prosjekt“ war bereits mehrfach in der „fabrik“ zu Gast, hat auch schon in „Residence“ Choreografien erarbeitet und sich vom Park Sanssouci inspirieren lassen. Jetzt aber war es das Leben und Werk von Edvard Munch, das die Choreografin intensiv erforschte: für ein Tanzfestival in Oslo. Wichtige Themen in den Bildern Munchs sind immer wieder Eifersucht, Einsamkeit, Liebe und Tod. Er quälte sich mit Erinnerungen an eine tragische Liebesgeschichte, die mit einer Revolverszene endete, bei der Munchs linke Hand angeschossen worden war. Eine nie verwundene Schmach.

„Omega and the Deer“ sei indes keine Arbeit über Munch, betont Thomas Björk. „Auch wenn Kenner des Malers vielleicht Bilder von ihm auf der Bühne sehen werden. Aber es gibt immer viele Ebenen und eine Gleichzeitigkeit sich überlagernder Dinge.“

Sabine Chwalisz, die künstlerische Leiterin der „fabrik“, bezeichnet Ingun Bjørnsgaard als eine große „Wiederholungstäterin“. „Um so fragil und zart arbeiten zu können, muss ein großes Vertrauen bestehen. Und das entwickelt sich nur in einer jahrelangen Zusammenarbeit mit Bühnenbildner, Komponist und Tänzern.“ Das Besondere dieser Meisterchoreografin, die als einzige von der norwegischen Presse zweimal den Kritikerpreis erhielt, sei ihre emotionale Vielschichtigkeit. „Die Companie brilliert nicht nur tänzerisch, sondern beeindruckt als Gesamtkunstwerk“, so Sabine Chwalisz. Jede Geste, jeder Blick, jede Handbewegung sei nicht zufällig. „Wie in einem guten Bild entdeckt man immer wieder neue Details.“ Das mache die Stärke dieser Arbeit aus, die ihresgleichen suche und zwischen Erotik und Komik, Gewalt und Zärtlichkeit komplexe psychische Zustände durchtanzt.

7. und 8. Dezember, 20 Uhr, fabrik, Eintritt an der Abendkasse 19/ erm. 14 Euro

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